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Es ist die Wahrheit. Hubert Wild gibt den kubanischen Sklaven Esteban in der Staatsopern-Aufführung. Foto: Lucie Jansch

© Lucie Jansch

Theater: Zuckerrohr und Strafe

Biografie eines Sklaven: Hans Werner Henzes Rezital „El Cimarrón“ in der Schillertheater-Werkstatt.

Tief hängt ihm der Hut und deckt das mit Farbe gebräunte Gesicht, wenn der Sänger Hubert Wild von der Bühne schreitet, vorbei am Musikequipment, um den Raum bis in den schmalen Rang zu erobern und ein Schicksal darzustellen. Ein Einzelner für viele. Sophia Simitzis (Regie), Inga Timm (Ausstattung) und Irene Selka (Licht) führen eine Inszenierung vor, die das Geschehen behutsam lenkt. Ob im Licht oder Gegenlicht, ob im weißen Anzug eines Kolonialherren oder in kubanischer Uniform: Die Andeutung der Theatermittel zeigt, dass dieser Mann im Wechsel der Systeme ein Unfreier bleibt. Die Staatsoper verwöhnt ihr Publikum in der Werkstatt des Schiller Theaters nicht: Hart ist die Sitzung auf lehnenlosen Holzbänken. Aber das Kammerspiel des famosen Ensembles Quillo ist als Facette zu begrüßen, den in diesem Jahr 85-jährigen Hans Werner Henze zu ehren.

Eine Jugendzeit in der Sklaverei. Anonym geboren, anonym verkauft. Er hat seine Eltern nie gesehen. „Das ist nicht traurig, denn es ist die Wahrheit.“ Wer spricht so? Die Wahrheit, ohne sie zu interpretieren? Es ist ein „Cimarrón“, wie man im 19. Jahrhundert einen entflohenen Sklaven nannte, und im Alter von 104 beginnt er, dem kubanischen Schriftsteller Miguel Barnet sein Leben zu erzählen. Das geschieht ab 1964 in Havanna, wo Barnet die Freundschaft des betagten Schwarzen gewinnt. Was Esteban weiß, gelangt in der Ichform der Tonbandaufnahmen in das Buch „Der Cimarrón“, eine con amore redigierte Autobiografie in ihrem Redefluss. Henze, der um jene Zeit einen Lehrauftrag in Kuba annimmt, erfährt von dem Buch durch Hans Magnus Enzensberger. Bevor aus dem Projekt der beiden Deutschen das „Rezital für vier Musiker“ wird, lernt Henze den uralten Esteban noch persönlich kennen.

Von afrikanischen Mythen, der Plackerei auf den Zuckerfeldern, brennenden Strafen, Herrenhäusern berichtet der Bariton, und die Stimme flüstert von der „Flucht“ in den Urwald. Die Sklavenbefreiung bringt wenig für Esteban, weil die sadistischen Aufseher auf dem Feld die Alten sind. Den Unabhängigkeitskrieg 1895 erlebt er bei den Aufständischen. Aber der „schlechte“ Sieg hat wieder seine Haken: die Yankees. „Bei den Kämpfen, die kommen werden, bin ich dabei.“

Die Komposition gehört zu Henzes politischem Erwachen. Er befreundet sich mit Dutschke, denkt links. Aber er weiß, dass sich seine Musik von der früheren herleitet. Der Bourgeois als Kommunist am Schreibtisch in Havanna. Die Partitur zu Enzensbergers Libretto meint nicht mehr und nicht weniger als Solidarität mit den Unterdrückten. Ein Vokalist, ein Flötist mit vielen Instrumenten, Gitarrist, Perkussionist: Alle beteiligen sich am Schlagzeug. Mitreißend das Engagement der Musiker Ursula Weiler, Daniel Göritz und Dominic Oelze. Märchenton, Habanera, Rumba, Aufschlagen einer Kette, Reminiszenz an Chaplins „Modern Times“, religiöse Litaneien gegen die Souveränität afrikanischer Trommeln. Henze-Klang unbeirrbar. Der Sänger spricht, schreit, singt. Bewundernswert, mit welcher Sprachkultur Hubert Wild sich den weiten Ambitus der Partie, die Ausdruckscharaktere zu eigen macht, zumal wo in der Rezitation die Erregung übermächtig wird. Videos von Heta Multanen sind so pfiffig, dass sich aus den Bildern, die repetitiv in Rousseau’schen Landschaften laufen, soziale Kontrapunkte mitteilen. Und Grüße von William Kentridge und Christoph Schlingensief.

Wieder am 24. und 27. Februar sowie am 1., 4. und 7. März

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