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Wenn die Welt Kopf steht. Szene aus Herbert Fritschs Volksbühnen-Inszenierung „der die mann“.

© Thomas Aurin/Berliner Festspiele

Theatertreffen 2016: Das Leben ist eine Tragikomödie

Das Theatertreffen 2016 ist vorbei, die Kritik laut: zu konservativ, zu bieder, heißt es. Vielleicht ist das Internet die Rettung. Fünf Beobachtungen.

Der letzte Programmpunkt des Berliner Theatertreffens ist vielen der liebste. Denn beim „TT-Finale“ sitzen diejenigen auf dem Podium, die uns die vergangenen zweieinhalb Bühnenwochen eingebrockt haben. Das Publikum darf bei der traditionellen Juryabschlussdiskussion seinem Ärger (oder – auch das soll’s ja geben – seiner Freude) Luft machen über die zehn „bemerkenswertesten“ Aufführungen, die dieses siebenköpfige Kritikergremium da aus der deutschsprachigen Theatersaisonware eingeladen hat.

Und geärgert hat es sich natürlich mächtig, das Publikum. (Gefreut möglicherweise auch, aber die Aufreger – auch dies ein lieb gewordenes TT-Ritual – sitzen in der Regel tiefer und nachhaltiger.) Ganz oben auf der Vorwurfsliste an die Jury also auch diesmal: „Konservatismus“ und „Stadttheater“-Biederkeit.

Womit wir beim Knackpunkt der Veranstaltung wären: Einerseits teilt man als Zuschauerin die Enttäuschung über bestimmte Produktionen durchaus leidenschaftlich. Nur ist es ja andererseits nicht etwa so, dass sich das Auswahlgremium die Aufführungen selbst gebacken hätte, die es nach Berlin holt. Und dass der Riesenpool, aus dem da geschöpft wird, umso verheißungsvoller wirkt, je weniger man selbst aus ihm gesehen hat, ist offenbar eine Art Naturgesetzmäßigkeit, die man vor allem als Ex-Jurorin sehr gut kennt (und die ja im Dienste des allgemeinen Kulturoptimismus auch gar nicht mal die schlechteste ist).

Flüchtlingsthematik auf den Festspielen sehr präsent

Selbst, wenn also auch 2016 aus subjektiver Sicht deutlich überbewertete und mitunter geradezu ärgerliche Beiträge eingeladen wurden, während einem andere (wie „Die Brüder Karamasow“ von der Volksbühne) fehlen: Alles in allem dürfte es sich gar nicht vermeiden lassen, dass sich eine Theatersaison relativ gut abbildet in einer Zehnerauswahl von sieben Kritikerprofis, die 394 Inszenierungen gesehen und sich ein Jahr lang darüber die Köpfe heißdiskutiert haben.

Fragt man zur Abwechslung also mal nicht, was das Theatertreffen über die Jury, sondern was es tatsächlich über den Bühnen-Status-quo aussagt, fällt fünferlei auf.

Erstens: Wie im realen Leben ist die Flüchtlingsthematik auch in geschätzten achtzig Prozent der Bühnenproduktion präsent. Entweder explizit wie in Yael Ronens Stückentwicklung „The Situation“ mit Schauspielern, deren Biografien mit dem Nahostkonflikt verknüpft sind. Oder implizit wie in Ersan Mondtags „Tyrannis“, in dem gänzlich kommentar- und erklärungsfrei eine „Fremde“ an die Tür einer beharrlich schweigenden Rotschopffamilie klopft.

Interessanter als Abende, die zum wiederholten Mal den Clash (west-)europäischer Besitzstandswahrer mit den Ankommenden vorführen wie Karin Beiers zu Recht ziemlich Kritiker-gerupftes „Schiff der Träume“ sind in diesem Segment zudem Arbeiten mit historischer Dimension wie Hans-Werner Kroesingers und Regine Duras Dokumentarstück „Stolpersteine Staatstheater“, das sein Aktenstudium über die Diskriminierung und Entlassung jüdischer Künstler im Dritten Reich in der AfD-Gegenwart ankommen lässt.

Theater eher im Konsolidierungsmodus

Switcht man von der inhaltlichen auf die ästhetische Ebene, fällt – zweite Beobachtung – auf, dass Innovation nicht direkt das Hauptthema der diesjährigen Auswahl ist. Selbst die formal auffälligsten Arbeiten spielen entweder in ihrer eigenen Liga weiter wie Herbert Fritschs „der die mann“ von der Volksbühne oder sampeln (was ja nicht verboten ist) andere vertraute Benutzeroberflächen. Mondtags Kasseler „Tyrannis“ beispielsweise ist ebenso deutlich durch die Vegard-Vinge-Schule gegangen wie Anna- Sophie Mahlers „Mittelreich“ von den Münchner Kammerspielen durch den Christoph-Marthaler-Kosmos.

Daran, dass sich die Theater zurzeit eher im Konsolidierungs- als im Aufbruchsmodus zu befinden scheinen, ändert übrigens auch die während des Festivals viel und stolz zitierte Tatsache nichts, dass die diesjährige Zehnerauswahl mit sechs Debütanten und fünf Regisseurinnen „jünger und weiblicher“ sei denn je. Wir nehmen also – drittens – die durchaus tröstliche Festivalerkenntnis mit nach Hause, dass Innovation weder alters- noch geschlechtsgebunden ist.

Henrik Ibsen geht online

Punkt vier: Wenn die Bühnenkunst Kritik an Missständen übt, tut sie das in aller Regel lustig, mindestens jedoch tragikomisch. Dass etwa die literaturkanonische Fremdgängerin „Effi Briest“ im Zweifelsfall auch heute noch in „a man’s world“ lebt wie schon zu Fontanes und später eben auch zu James Browns Zeiten, zeigen Clemens Sienknecht und Barbara Bürk in ihrer Bühnenradioshow „Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit gekonnt vorgeführtem Pathos inklusive Operetten- und Schnulzenparodien. Wirklich sehr amüsant.

Generell könnte man allerdings bei fast allen Tragikomödien, die das Theater zurzeit so landauf, landab auf die Bühnen wirft, in jeder Hinsicht mehr vertragen: Mehr Sarkasmus im Witz zum Beispiel. Es geht – in der Komödie wie in der Tragödie – erstaunlich versöhnlich zu; manchmal geradezu kulinarisch.

Last but not least schließlich ist es – fünfte Beobachtung – einem alten Norweger, der schon seit Jahren zu den Festivaldauergästen gehört, gelungen, sich in einen neuen Status zu katapultieren. Henrik Ibsen hat dieses Jahr quasi nahtlos den Anschluss ans world wide web geschafft: Mit dem „Volksfeind“ aus Zürich und „John Gabriel Borkman“ aus Wien und Basel waren gleich zwei Produktionen eingeladen, die ihn durch zeitgenössische „Überschreibungen“ auf Blogger- und Facebook-Fitness getrimmt haben. Ob sich hier ein neuer Trend anbahnt (und wenn ja, ob der erfreulich ist), werden wir spätestens in 365 Tagen vermelden, vom TT ’17.

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