zum Hauptinhalt
Szene aus "Der Volksfeind" mit Isabel Menke, Sofia Elena Borsan und Becky Lee Walters.

© Tanja Dorendorf/TT Fotografie

Theatertreffen Berlin: "Volksfeind": Und morgen früh geht’s online

Das Schauspielhaus Zürich beim Berliner Theatertreffen: Stefan Pucher und Dietmar Dath aktualisieren Ibsens „Volksfeind“.

Ganz schön im Heute angekommen, dieser „Volksfeind“ von Ibsen beim Berliner Theatertreffen. Oder sogar schon im Morgen. Jedenfalls auf den ersten Blick: Man plaudert abendfüllend über Fracking, unterzeichnet Online-Petitionen, schmettert ein Lied namens „Systemadministrator“. Ab und zu findet man sich auch mal an der Rampe zu leicht sedierenden Fitnessübungen zusammen, wobei nie ganz klar wird: Ist man noch Mensch oder schon Avatar?

Dass von irgendeiner der Riesenleinwände auf Barbara Ehnes’ entsprechend spaciger Bühne ständig irgendein virtueller Mund absichtsvoll inhaltsfreie Kommunikationsblasen blubbert, hilft zur Beantwortung dieser Frage auch nicht weiter. Aber dass sich der Enthüllungsredakteur Hovstad seit der Uraufführung des „Volksfeindes“ vor 133 Jahren nicht nur von seinem Provinzblättchen ein ganzes Stück wegbewegt, sondern auch von Print komplett auf Online umgesattelt hat, ist natürlich das Mindeste, was man in diesem Ambiente erwartet.

In Stefan Puchers Ibsen-Inszenierung vom Schauspielhaus Zürich, für die der Autor und Journalist Dietmar Dath eine neue Textfassung geschrieben hat, ist Hovstad zudem eine Frau: eine Bloggerin mit schräg geschnittenem Pony und farblich in jeder Szene wechselnden Schlaghosen (Tabea Martin). Eine, die fürs Demokratie-Portal „DEMOnline“ arbeitet und gern unterstützend die Arme in die Luft wirft, wenn sie – nicht ohne leicht debile Schlagseite – verkündet: „Morgen früh geht’s online“.

Drängeln durch die Zuschauer und "Arschlöcher"-Geschrei

Natürlich stellt auch bei Dietmar Dath der Badearzt Doktor Tomas Stockmann (Markus Scheumann) Wasserverunreinigungen im lokalen Wellnesskomplex fest und will seine Recherchen auf „DEMOnline“ veröffentlichen. Sein Bruder Peter (Robert Hunger-Bühler) – in aparter Ämterhäufung gleichzeitig „Stadtvorsteher und Polizeichef, Vorsitzender der Kurverwaltung usw.“ – weiß das unter Verweis auf die schwerwiegenden ökonomischen Folgen fürs städtische Allgemeinwohl zu verhindern und die stromlinienförmigen Onliner mühelos auf seine Seite zu ziehen. Der Arzt, der an der „Wahrheit“ festhält, wird zum sozial geächteten „Volkfeind“ und schmettert ein paar steile Thesen über die „verfluchte, kompakte Majorität“ über die Rampe. (Das heißt, er drängelt er sich durch die Zuschauerreihen und spricht schlicht von „Arschlöchern“.)

Aber merkwürdig: Das abendfüllende Online-Medienbashing und Doktor Stockmanns Demokratie-Ressentiments („Fracking und Blogging, alles dasselbe: Scheiße pumpen“) klingen hier seltsam vorgestrig, älter fast als in Ibsens Original. Auch macht sich gediegener Konservatismus unter der hippen Inszenierungsoberfläche breit. Das fängt beim Schauspielstil der Akteure an und hört beim Text nicht auf, der statt Dialogen häufig eher Sprechblöcke aneinanderreiht, die mehr oder weniger frontal ins Publikum deklamiert werden; mal von einer der Videowände, mal vom Fahrradergometer.

Das Publikum wird rausgelockt - der "Volksfeind" bleibt treudoof zurück

Klar: Puchers Inszenierung spielt bewusst mit der Spannung zwischen Retro und Science Fiction. Trotzdem wird man den Verdacht nicht los, dass dem Abend ein Großteil seiner ältlichen Wirkung eher unfreiwillig unterläuft. Buchstäblich Leben in die (Festspiel-)Bude kommt im berühmten vierten Akt, wenn der „Volksfeind“ seine Position öffentlich gegen seinen Bruder und die Medien vertritt. Sperrig und, nun ja, medienunerfahren, wie er ist, bleibt er dabei treudoof auf der Bühne, während sich die Gegenseite selbstbewusst ins Foyer begibt und das Publikum mit billigen Butterfahrt-Tricks (kostenlose grüne Wellness-Getränke) nachzulocken versucht – was übrigens ziemlich gut funktioniert.

Nun gehört die Öffnung der vierten Wand im vierten „Volksfeind“-Akt mittlerweile aber quasi zum Inszenierungsstandard. In Thomas Ostermeiers Berliner Version von 2012, die nach wie vor an der Schaubühne läuft, werden hier ebenfalls mit dem Publikum Grundfragen der Demokratie verhandelt.

Interessanter ist die Tatsache, dass kein anderer Autor zurzeit offenbar derart zu „Überschreibungen“ herausfordert wie Henrik Ibsen. Nach Daths „Volksfeind“-Bearbeitung kommt am Samstag mit „John Gabriel Borkman“ ein zweiter internetaffiner Ibsen zum Theatertreffen, in dem viel von Facebookprofilen die Rede ist. Regisseur Simon Stone hat den titelgebenden Ex-Bankdirektor nebst Frau, Sohn und Ex-Geliebter mit seinem Schauspielensemble ebenfalls auf den Gegenwartsprüfstand gestellt und eine 2016-fitte Neuversion geschaffen. Mal sehen, ob’s besser funktioniert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false