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Theatertreffen: Hier war immer schon Krise

Gärung in der Garage: Christoph Marthalers „Riesenbutzbach“ und Viktor Bodós „Stunde“ beim Theatertreffen.

Nun also zwei Marthaler-Inszenierungen beim Berliner Theatertreffen? Beide Male ist es die Choreographie einer Kleinstadtgesellschaft, gebannt in einen Wunderraum, der öffentliche und intime Plätze, der Straße, Wohnhaus, Café, Kanalschächte, Garagen und Balkone zu einer quasi kubistischen Komödie vermischt, verspinnt, verquirlt. Beim ersten Mal geht’s in dieser kuriosen Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt auch tatsächlich ganz quirlig zu. Sehr schnell und grell, zu fesch fast.

Es ist ja ein flotter Fake. Gar kein wahrer Schweizer Marthaler (langsam, tief und abgründig), vielmehr ein schlauer Magyar, ein peppiger Ungar. Auch ist hier kein ganz echter Peter Handke im Spiel, obwohl dessen stummes Passanten-Stück „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ annonciert wird. Wir sehen und hören eine nunmehr nachlaute Handke-Bearbeitung von Viktor Bodó: von einem neuen Multimediatalent, der seine Budapester Truppe mit dem schönen Namen Szputnyik Shipping Company zusammengetan hat mit den Akteuren des Grazer Schauspielhauses. Und so fliegt das Luftschiffunternehmen als grazianischer Slapstick aus Tanz, Musik, Live-Video und Kurzkabarett in anderthalb Stunden vorbei. Junge Kauffrauen crashen sich mit fragwürdigen Mannsbildern auf Motorrädern, High Heels oder in Badelatschen, ständig Zusammenstöße, Trennungen, Überfälle, Unfälle, es geht irgendwie um Drogen, Geld und wechselnde elektrische oder menschliche Kurzschlüsse. Irgendwann tritt dazu eine veritable ungarische Opernsängerin auf: leider etwas lang und abgrundlos unkomisch – sowas macht noch den Abstand aus zur echten Marthaler-Meisterschaft.

Ein Triumph der Beliebigkeit, im Detail oft charmant, ein vom gutgelaunten Publikum gefeierter Knallfrosch. Aber keine Rakete. Die war eher im riesigen Hangar 5 des stillgelegten Flughafens Tempelhof zu erwarten, wo der Original-Marthaler mit seiner inzwischen von den Wiener Festwochen über Neapel, Avignon, Tokio und sonstwo nun auch zum Theatertreffen gelangten Zeit-Raum-Revue „Riesenbutzbach“ gelandet ist. Wie üblich bei Marthaler und seiner kongenialen Bühnenbildnerin Anna Viehbrock ist hier die Welt ein Wartesaal: eingemauert in Kunstbeton, der im Bühnenhimmel die Aufschrift „Institut für Gärungsgewerbe“ trägt. Bier aber gibt’s hier höchstens in Dosen, außerdem findet sich noch eine Hausnummer 44 B, was irgendwie auf eine randstädtische Siedlung verweist, zumal dieses „Riesenbutzbach“ den Untertitel „Eine Dauerkolonie“ trägt. Was auf Marthalers gedehnte Zeiträume wie auf seine urschweizerisch universelle Butzenwelt-Melancholie verweist. Die Zeit wird da einmal mehr zum Raum und Rätsel.

Zwischen Bar- und Banktresen, verstaubten Glaskastenbüros und in einem mit 50er-Jahre-Schleiflackmöbeln retromäßig möblierten Gesamtwohnzimmer mit eingelagerten Schwingtürgaragen und monumentalen Ex-DDR-Straßenlaternen lümmelt zunächst eine Schar schräger Damen, stretcht ab und zu die müden Beine und lässt ganz wunderliche, wunderbare Sätze fallen: „Wenn die Transzendenz was von mir will, ich kann mich nicht um sie kümmern“, sagt die wie immer tolle, voluminöse Bettina Stucky (die im Programmheft als „Konsumsucherin“ firmiert). Eine andere weiß: „Einem geschenkten Gaul vögelt man nicht ins Maul.“ Plötzlich bricht auch eine Horde Herren herein, zum Teil mit tragbaren Keyboards oder versteckten Trompeten, unter ihnen ein „verirrter Franzose“ (Marc Bodnar), der die Damen küsst und mit einer wortschwallartigen Verkehrsstau-Verspätungsentschuldigung in seiner Muttersprache nervt, worauf die zarte kleine Sylvia Fenz (eine „Vergangenheitssucherin“) erklärt, er sei ihr Sohn, aber sie könne kein Französisch; sie verstehe ihn nicht, und: „Das versuche ich ihm schon seit seiner Geburt klarzumachen.“

Hübsche Scherze. Und richtig lustig wird’s, wenn die immer derangiertere Gesellschaft, deren tristes Mobiliar schon vom massigen Christoph Homberger (Gerichtsvollzieher, Bürovorsteher und „Gesangskontrolleur“) konfisziert wurde, in den komisch engen Garagen Party macht zu Jürg Kienbergers irrwitziger Coverversion von „Staying alive“. Der alte Bee-Gees-Song ist bei allem Puzzle-Potpourri der Sketche und Musiknummern – Monteverdi, Bach, Beethoven und „Lily Marleen“ – das eigentliche Motto: Überleben in der Finanzkrise, von der mal launig, mal länglich, mal komisch (und mit Kants kategorischem Imperativ garniert) die Rede ist. Ein doppelbödig schwankender Abend. Nicht ganz erhebend, aber zeitraumgemäß.

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