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Theatertreffen: Hol’ den Vorschlaghammer

Kapitalismus kaputt - doch der Zuschauer bleibt sicher auf Distanz: „Liebe und Geld“ vom Hamburger Thalia-Theater beim Theatertreffen.

„Ich glaube nicht mehr an Gott; ich glaube jetzt an Geld“. Selten trugen Theaterfiguren das kapitalismuskritische Herz derart platt auf der Zunge wie in Dennis Kellys „Liebe und Geld“ vom Hamburger Thalia-Theater. Entsprechend akut gestalten sich die Systemdeformationen, die sie sich in Stephan Kimmigs Inszenierung auf einem multifunktionalen Baugerüst (Bühne: Katja Haß) von der Seele turnen.

Da wäre zunächst der schnöselige Ex-Lehrer David (Daniel Hoevels). Der gesteht einer französischen Dienstreisen-Affäre via E-Mail, beim Suizidversuch seiner Gattin (Susanne Wolff) ordentlich nachgeholfen zu haben. So wurde er auf einen Schlag 70 000 Pfund Schulden los und konnte doch noch mal über den Ford Mondeo nachdenken, den er bereits sehnsüchtig getestet hatte. Davids Frau Jess nämlich litt, wie wir aus Rückblenden erfahren, unter einer vergleichsweise komplexen Form der Kaufsucht und häufte so diesen immensen Schuldenberg an.

Der anschließende Auftritt von Jess’ Eltern legt – Überraschung! – nahe, dass es sich dabei um eine irgendwie aus dem Ruder gelaufene Reaktion auf frühkindliche Erziehungsdefizite handelte. Denn Mum (Sandra Flubacher) und Dad (Stephan Schad) halten die Liebe für eine Systemkategorie, deren Umfang man trefflich mit symbolischem und finanziellem Kapital messen kann. Da steht dieses bürgerliche Elternpaar – er im grauen Anzug, sie im adretten Kostüm – dann eben an der Rampe und schimpft auf „diese alte griechische Schlampe“, die neben ihrer Tochter begraben ist und deren hinterbliebener Gatte die letzte Ruhestätte zu einem alles überstrahlenden Tempel ausbaute. Wie in einer Talkshow oder auch beim Therapeuten, wer weiß das schon so genau, gibt das empörte Ehepaar seine Interimskarriere als Grabschänder zu Protokoll. Dad stieg mit einem Vorschlaghammer ein und sprühte anschließend „Kanake“ auf Frau Keriakous’ zerstörtes Grab, „damit es nach Vandalismus aussieht“. Zur Belohnung gab es für ihn endlich mal wieder ehelichen Geschlechtsverkehr.

Den hatte auch der schmierige Hornbrillenträger Duncan (Hartmut Schories) schon lange nicht mehr. Seit sein Sohn an Leukämie starb und seine Frau jegliche Teilnahme am Dasein verweigerte. Deshalb bettelt Duncan Frauen jetzt um gekaute Kaugummis, getragene Unterhosen und angerauchte Zigaretten an, um sich so etwas wie Leben einzuverleiben. Solange er dabei auf Erscheinungen wie Debbie (Victoria Trauttmansdorff) trifft, die das kapitalistische Deformationshorrorkabinett vervollständigt, hat er Glück. Debbie schickt ihrem Chef Weihnachtskarten mit eigenhändig getöteten Mäusen.

Es war im Zusammenhang mit dem diesjährigen Theatertreffen viel vom „Krisentableau“ die Rede. Jetzt, mit Kellys Stück, sollen die Verführungen der Warenwelt und die Gesetze des Kapitals also die bürgerliche Mittelstandsehe zerstören. All diese Versuche gehen allerdings entweder von einem recht antiquierten Systembild aus oder wirken derart klischeegesättigt, dass man im Zuschauerraum sicher auf Distanz bleibt. Und das, obwohl Stephan Kimmig im Falle von „Liebe und Geld“ die Bühne sogar extra weit in den Zuschauerraum gebaut und die Schauspieler vorsichtshalber trotzdem noch mit Mikroports ausgestattet hat. Möglicherweise hätte man das vergleichsweise grob geschnitzte Stücklein des britischen Dramatikers Kelly, der durchaus schon komplexere Texte geschrieben hat, als Farce irgendwie ernster nehmen können. Kimmigs Inszenierung aber, die nach dem Theatertreffen ins DT-Repertoire übernommen wird, schlägt sich eindeutig auf die Seite der konsumkranken Jess. Auch wenn deren Darstellerin Susanne Wolff in diesem Stereotypen-Klub vergleichsweise differenziert auftritt, wächst die Sehnsucht nach komplexen Bühnen-Diskursen minütlich.

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