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Theatertreffen: Nach der Sitzung ist vor dem Leben

Nachspiel mit Juroren: Ein Jury-Dramolett zum Berliner Theatertreffen.

Ein Berliner Platz an einem Vorfrühlingstag. Die Äste der Platanen ragen noch winterkarg gen Himmel, aber es geht ein milder Wind. Auf einer Bank sitzen zwei Herren, den Eingang des Restaurants „Zum Anker“ im Blick.

Erstes Jurymitglied: Geschafft!

Anderes Jurymitglied, während er auf die Vielfliegerkarte in seiner Hand schaut: Wahnsinn, eigentlich! Wie viele Meilen hast du gesammelt?

EJ, als hätte er AJ nicht gehört: Ich hatte Befürchtungen. Doch glücklicherweise. Die Gefahr bestand, das musst du zugeben, die Gefahr bestand schon.

AJ: Absolut! Die Gefahr bestand! Wie viele Meilen hast du gesammelt?

EJ: Und als du dann auch noch ... Da dachte ich: Was ist denn jetzt los?

AJ: Aber ich hab doch gar nicht.

EJ: Du hättest aber können. Ich mein ja nur: Es lag in der Luft! Lange Pause. Das musst du zugeben: Du warst begeistert!

AJ: Ich bin noch immer begeistert!

EJ: Wir alle sind begeistert!

Andächtiges Schweigen.

AJ, während er auf die Vielfliegerkarte schaut: Aber das Wort Trend kommt mir nicht über die Lippen. Trend zur Sprachlosigkeit! Schüttelt belustigt den Kopf. Wo gibt’s denn so was?

EJ: Aber die ...

AJ: Vergiss die Podiumsdiskussion. Wirklich. Die interessiert niemanden.

Zerknirschtes Schweigen.

AJ: Wenn’s vollbracht ist, will man es kaum glauben, oder? Ich kenne einen, der sammelt so viele Meilen, dass er jedes Jahr einen Freiflug nach Kapstadt bekommt.

EJ, entsetzt: Ein Theaterkritiker?

AJ: Ein Architekt mit Dependance in Sao Paolo. Bemerkt den sorgenvollen Ausdruck seines Kollegen. Echt. Sei einfach nur: begeistert! Das reicht völlig.

Die Tür des Restaurants „Zum Anker“ öffnet sich. Ein drittes Jurymitglied steht im Licht, aus dem Inneren des Lokals dringt Stimmengewirr nach draußen. DJ saugt gierig Luft in die Lungen, dann stößt er beide Arme in die Höhe und ruft laut: Utzbach! Utzbach wie Butzbach! Das Echo hallt über den Platz. Was ist, wollt ihr keinen Nachtisch? Die beiden auf der Bank starren den Kollegen nur an. Der verschwindet wieder im Restaurant.

Erneutes Schweigen. Der Wind ist jetzt kühler. Ein Radfahrer fährt ohne Licht langsam über den Platz. Man hört das leise Knirschen der Räder auf dem körnigen Weg. Dann nichts mehr. EJ gähnt und steht auf.

EJ: Der Nachtisch ist hier wirklich gut.

AJ, während er zu den erleuchteten Fenstern zwei Stockwerke über dem Restaurant weist, hinter denen eine telefonierende Frau auf- und abgeht: Siehst du die Frau dort? Sie wird gleich die Vorhänge zuziehen. Erst telefoniert sie, dann steht sie am Fenster, schaut auf den Platz – und schließt den Vorhang. Das war im vorletzten Jahr so und im letzten Jahr auch.

EJ glotzt hinauf, dort geht tatsächlich eine Frau hin und her, ein schnurloses Telefon am Ohr. Er wendet sich ab, und verschwindet im Restaurant „Zum Anker“.

AJ, jetzt allein auf der Parkbank, beobachtet die telefonierende Frau. Er weiß nicht, was sie sagt. Er verfolgt nur, wie sie hinter den Fenstern lachend innehält und weiterschlendert. Er summt ein altes Lied vor sich hin: Life! Life is life!

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