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Jürgen Holtz als Zirkusdirektor Caribaldi in Thomas Bernhards „Die Macht der Gewohnheit“.

© Monika Rittershaus

Thomas Bernhards "Die Macht der Gewohnheit" am BE: Melancholischer Abgesang

Großer Auftritt für Jürgen Holtz: Er spielt den Zirkusdirektor Caribaldi in Thomas Bernhards „Die Macht der Gewohnheit“. Natürlich führt Bernhards Freund Claus Peymann Regie, natürlich am eigenen Haus - dem Berliner Ensemble.

Er hatte schon mal üblere Laune, verspritzte stärkeres Gift, der Schauspieler Jürgen Holtz. Bei ihm ist es ein Zeichen überragender Intelligenz und Spielfreude, den Misanthropen zu pflegen. Natürlich ist der 82-Jährige in Wahrheit ein großer Komiker, aber lachen und lustig sein können ja die anderen, wenn es unbedingt sein muss. Der Komiker sieht die Welt, wie sie ist, und ihm wird schlecht. Hier spielt er jetzt den Zirkusdirektor Caribaldi von Thomas Bernhard in der Komödie „Die Macht der Gewohnheit“, und der Grundton ist leise Verzweiflung. Alles geht immerzu sowieso schief in der wackligen Unternehmung, das Personal ist renitent und mittelmäßig (ein Lieblingswort von Bernhard), der Laden vermutlich pleite. Das ist die Ausgangslage und der Endpunkt.

Das ewige Thomas-Bernhard-Thema: die Stümperei und das Erhabene. Der Künstler und sein Wollen, sein Wahnsinn. Caribaldi quält das Cello, faselt ständig von Pablo Casals, dem großen Meister dieses Instruments. Und um zu beweisen, dass das Leben aus nichts weiter besteht als Wiederholung, Scheitern, Ekel und eingebildetem Genie, lässt der Direktor Caribaldi seine Truppe Tag für Tag (seit über 20 Jahren) zur Probe für Schuberts „Forellenquintett“ antreten. „Die Macht der Gewohnheit“ wurde 1974 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, Regie: Dieter Dorn, den irren Caribaldi gab Bernhard Minetti.

Bernhard starb 1989. Sein Lieblingsregisseur war Claus Peymann. Die beiden hatten große Erfolge und herrliche Skandale. Mit dabei war stets der Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann. Und das ist das Erste, was am BE ins Auge fällt – die wunderbare Bühne. Vorn die schiefe Spielfläche mit dem Klavier, das in die Knie geht, hinten das Zirkuszelt en miniature, das knallig abbrennt. In der Luft hängen (schief, naturgemäß) Fotografien aus besseren Zirkustagen. Was auch geschieht, das Bühnenbild behauptet seine Poesie. Es hat Tiefe und Horizont, ganz gleich, wie flach die Bernhard'schen Kaskaden daherkommen, im Jahr 2015.

Holtz stemmt die Strapaze, das Publikum jubelt

Jürgen Holtz hatte gesundheitliche Probleme, die Premiere war gefährdet. Er hat es aber durchgezogen. Das Publikum dankte mit Jubel. Es ist ein melancholischer Abend geworden. Man könnte sagen, Peymann führt eine zarte Regie, aber eigentlich ist das alles nur so dahingestellt, mit Karikaturen. Die allzu naive Enkelin des Direktors (Karla Sengteller), der griesgrämige Jongleur (Norbert Stöß), der ungeschickte Spaßmacher (Peter Luppa), der ungehobelte Dompteur (Joachim Nimtz): ach ja. Ein bisschen Herr- und Gescherr-Psychologie wäre da schon herauszuholen. Und Rhythmus braucht das Kammerspiel, musikalischen Takt. So wie er in den Augen von Jürgen Holtz aufblitzt. Irgendwie fällt es ihm schwer, die letzte Bosheit zu markieren. Auch die kleinen Triumphe des Menschenvorführers Caribaldi klingen fahl. Jürgen Holtz aber gehört zu den wenigen Schauspielern, die den Zuschauer entwaffnen. Seine Attacken werden mit Liebe beantwortet. Man leidet mit Caribaldi, und er leidet an sich selbst.

Die Aufführung geht knapp zweieinhalb Stunden so dahin, wenig Höhen oder Tiefen. Kaum ein Einfall, ein Gag, der nicht schon im Text steht. Wäre „Die Macht der Gewohnheit“ ein Musikstück und Peymann ein Dirigent, dann stünde hier überall ein ma non troppo als Gangart. Nicht zu viel, nicht zu laut. Behutsam bis zum Stillstand. In der Schöpfung steckt schon die Erschöpfung. Und wie es aus den Notenblättern staubt! Das ist schon bald die große Action, das Aufwirbeln des Staubs! Oder Selbstironie. Aber das ist hier Theater, kein Roman. Wenn am Ende das „Forellenquintett“ aus dem Radiolautsprecher fröhlich quillt, dann wird es auch gleich wieder abgeschaltet – und Licht aus.

Die Serientheaterschreiber sind ausgestorben

Man kann an diesem Stück gut erkennen, was sich in den vergangenen 40 Jahren verändert hat im Theater. Es gibt die Autoren wie Bernhard nicht mehr, die Serientäter, die beharrlich und produktiv für die Bühne schreiben. Es gibt die Caribaldis nicht mehr, die Tyrannen-Intendanten; Regisseure haben heute ein Eigenheim in Berlin, nicht mehr ein Haus in der Toskana. Es gibt die Kräche nicht mehr, auf die Peymann/Bernhard abonniert waren und aus denen das Theater auch seine gesellschaftliche Bedeutung bezog. Es hat sich überhaupt das Bild vom Künstler gewandelt. Bei Bernhard lebt noch der alte, romantische Geniebegriff (Karajan!) Er schimpfte das Theater in Österreich „dilettantisch und deprimierend“, das war 1969, was würde er heute sagen!

Natürlich kann man sich fragen, ob das nicht alles ein Missverständnis war mit den komischen Bernhard-Vögeln. Vielleicht waren sie ja nie so komisch, wie man sie erleben wollte, Bernhard Minetti, Traugott Buhre, Martin Schwab, Ilse Ritter, Kirsten Dene, Gert Voss. Bernhard hat auch gern einmal verboten, dass seine Stücke gespielt werden, aus politischen oder künstlerischen Gründen. Es war immer ein Kampf um das Werk, und alle ließen sich darauf ein, spielten mit, als Feinde, Bewunderer, Interpreten des Schriftstellers, der am meisten die Musik liebte.

Da sitzen Schauspieler auf der Bühne, sie halten Instrumente in der Hand, und es ist klar, dass sie nicht spielen können. Aber sie müssten es können, um zu zeigen, dass sie miserabel spielen. So kratzen sie auf den Saiten herum und legen ihren Text drüber. Und Jürgen Holtz greift sich an den Kopf. „Morgen Augsburg!“ geht es weiter (im Text) mit dem Zirkus. Das ist der Wiederholungsfluch in der „Macht der Gewohnheit“. Augsburg. Neues Gastspiel. Augsburg, fürchterlich! Richtig, Augsburg, da ist Brecht geboren. Milde Grüße aus dem Berliner Ensemble.

Wieder am 21. und 28. März sowie am 10., 17. und 29. April

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