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Thomas Holtzmann. Foto: Ursula Düren/dpa

© dpa

Thomas Holtzmann ist tot: Riese und Schmetterling

Zum Tod eines Weltreisenden: Der grandiose Schauspielkünstlers Thomas Holtzmann ist gestorben. Ein Nachruf.

Sie waren wohl die beiden letzten Dioskuren der deutschen Szene, vereint als Theaterkönige einst in Dieter Dorns Ensemble an den Münchner Kammerspielen und am Residenztheater. Jetzt ist der bald 93-jährige Rolf Boysen allein, in der Nacht zum Freitag, kurz vor seinem 86. Geburtstag, ist sein Kollege, Konkurrent und Freund, der große Thomas Holtzmann in München gestorben.

Groß war dieser Schauspieler auch von Gestalt. Ein bis zuletzt schlanker Hüne mit einem Gesicht, in das sich schon früh um Stirn und Mund ein paar mächtige Falten eingekerbt hatten. Doch noch als alter Mann bewahrten Thomas Holtzmanns Züge auch einen Anflug des schönen Jünglings. So hatte er ja als klassischer Heldendarsteller schon früh Erfolg: 1961 im Berliner Schiller-Theater als Kleists Prinz von Homburg unter Boleslaw Barlogs Regie. Oder als monumental leidender, erblindeter Ödipus auf Kolonos in Rudolf Noeltes Sophokles-Inszenierung im Münchner Residenztheater.

Das Glück schien dem jungen Riesen, in dem doch eine sonderbar hellmetallische, auch zum Weichen, Verträumten fähige Stimme steckte, von Anfang an zuzufliegen. Er war 1964, noch in seinen Dreißigern der Faust bei den Salzburger Festspielen. Und der späte Fritz Kortner besetzte ihn für Shakespeare in München und machte ihn zum Titelhelden in Goethes „Clavigo“ 1969 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Holtzmann bildete da schon mit Rolf Boysen (als Beaumarchais) ein grandioses Duo – die reich schattierte Inszenierung fiel zwar durch vor dem Hamburger Premierenpublikum. Aber beim Berliner Theatertreffen im Frühjahr 1970 wurde sie kurz vor Kortners Tod zum einhelligen Triumph. Den Zauber, auch Holtzmanns melancholischen Charme, gibt übrigens eine Fernsehaufzeichnung als Video bis heute wieder. Fritz Kortner war für Holtzmann überhaupt der prägende Regisseur. „Einem wie ihm bin ich nie mehr begegnet“, sagte er einmal im privaten Gespräch. Was er nicht wörtlich sagte: Kortner hatte ihm alles frühe, überzogen äußerliche, allzu teutonische Pathos ausgetrieben – das der aus der Emigration zurückgekehrte Regisseur generell den „Reichskanzleistil“ nannte.

Vor der Begegnung mit Kortner, die ihn trotz gelegentlicher Film- und Fernsehrollen aufs Theater einschwor, war Holtzmann auch auf dem Weg zum Kinoruhm. Er konnte lachend erzählen, dass man ihn mitten im kältesten Krieg beispielsweise zu Festivals und Reisen in die damalige Sowjetunion eingeladen und „mit unfassbar viel Kaviar und Krimsekt“ traktiert hatte. „Ich war dort offenbar Deutschlands beliebtester Schauspieler“, meinte er mit seinem wunderbar ironischen Augenblitzen. Was an der Hauptrolle im Film „Wer sind Sie, Dr. Sorge?“ lag. Kurz vor Mauerbau und Kuba-Krise spielte Holtzmann 1960 in der deutsch-französischen Produktion des Regisseurs Yves Ciampi den im Zweiten Weltkrieg für die Russen spionierenden Kundschafter Richard Sorge. In der UdSSR ein deutscher Volksheld...

Gäbe es in der Theatergeschichte ein paar Auftritte für die Ewigkeit, dann gehören wenigstens vier noch dazu: Thomas Holtzmann zusammen mit dem alten Peter Lühr als komödiantisch-weltexistentieller Wladimir 1984 in George Taboris Münchner Version von Becketts „Warten auf Godot“, ein Jahrhundert-Spiel. Oder sein Malvolio, den er in „Was ihr wollt“ bis in solchen Wahn-Witz und Irr-Sinn trieb, dass es Hirn, Stirn und Augäpfel schier zum Explodieren brachte. Und der tragische Universalabgrund, an den er seinen geblendeten Gloster im „Lear“ führte, beidemal in Shakespeare-Inszenierungen von Dieter Dorn.

Wie heute nur noch Gert Voss vermochte Thomas Holtzmann tatsächlich das Tragische hart und nah beim Komischen anzusiedeln. Famos zeigte er das in Alexander Langs Münchner „Phädra“-Inszenierung (1985 auch beim Berliner Theatertreffen), als er als heimkehrender Kriegskönig Theseus angesichts seiner womöglich untreu gewordenen Gattin Phädra (spitz manieriert: Sunnyi Melles) ungefähr eine Viertelstunde lang in der Hand eine grotesk winzige Mokkatasse durch alle Höhen und Untiefen der Tragikomödie balancierte. Ein Riese mit Schmetterlingshänden.

Persönlich nahm er das Theater, das er so liebte (oder das ihn so liebte) gar nicht über Gebühr ernst.

Kaum brachen die Bühnenferien an, flog Holtzmann – verheiratet mit der Gründgens-Schauspielerin Gustl Halenke – in die Ferne. Um die Welt darstellen zu können im „schwarzen Loch des Theaters“, wollte er die Welt auch sehen. Früh tauchte er auf den Malediven und kannte sich aus auf der Arabischen Halbinsel wie in den Weiten des Himalayas. Auch das.

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