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Kultur: Tierisch athletisch

KLASSIK (1)

Dass der französische Dirigent JeanClaude Casadesus eine elegante Erscheinung ist, mag eingedenk gängiger Klischees keine Überraschung sein. Dass er als ehemaliger Schlagzeuger über eine beeindruckende Schlagtechnik verfügt, ebensowenig. Dass aber dem ausgewiesenen Fachmann für alles Theatralische am Pult des Berliner Sinfonie-Orchesters ausgerechnet bei Mussorgskys „Nacht auf dem Kahlen Berge“ so gar kein zwingender dramaturgischer Zugriff gelingen wollte, macht Erstaunen. Allein mit französischer Verve und deutscher Akkuratesse ist dem Stück nicht beizukommen. Ebenso energisch aber auch ebenso pauschal, fern aller artikulatorischen Finessen, stemmte er mit Jean-Efflam Bavouzet Prokofjews 3. Klavierkonzert. Bavouzet ist ein echter Tastenlöwe. Anders als tierisch athletisch ist der mörderische Klavierpart allerdings auch nicht zu bezwingen – die fehlerlose Bewältigung allein rechtfertigt alle Bravos.

Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ in der Orchesterfassung Ravels waren hörbar der eigentliche Anlass des Abends im Konzerthaus . Hier wusste Casadesus lebhaft vom angstverzerrten „Gnomus“, der schaurig-bösen Hexe „Baba-Jaga“, den quirligen „Tuilerien“ und düsteren „Katakomben“ zu berichten; das Markttreiben in Limoges scheint dem Chef des Orchestre National de Lille bestens vertraut zu sein. Auf einmal zeigte auch das Orchester mit strahlendem Blech und klangschönem Holz, dass die derzeit prominente französisch-deutsch-russische Kooperation durchaus mitreißend sein kann. Als sich das gigantische Tor von Kiew mit markerschütternden Jericho-Posaunen auftat, war der beschwerliche Weg dahin auch schon vergessen.

Helge Rehders

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