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Kultur: Tierkarneval

Donna Leon stellt ihr neues Buch im Schiller Theater vor

BSE, Gammelfleisch, Dioxin – das Verhältnis des Menschen zum Tier ist, vorsichtig ausgedrückt, gestört. Der Wahn, immer mehr Fleisch für immer mehr Esser zu produzieren, fordert seinen Tribut. Wenngleich bezweifelt werden darf, dass es an den Jagd- und Schlachtfronten der Vergangenheit schmerzfreier und hygienischer zuging, so doch wenigstens natürlicher. Der Mensch als Bestie: Davon will heute niemand etwas wissen. Tier ist, was satt macht und billig aus der Supermarkttheke grüßt.

Tier ist, sagt Georg Friedrich Händel, was menschliche Tugenden, Laster und Affekte verkörpert, Schläue, Falschheit, Mut, Zorn. Tiere sind Allegorien, sie bevölkern unsere Märchen und Mythen, beschäftigen unseren Forschergeist, beflügeln seit jeher Dichter, Komponisten, Künstler. All das hat die Erfolgskrimiautorin, bekennende Händel-Verrückte und Vegetarierin Donna Leon veranlasst, sich auf die Suche nach dem Tier in Händels Opern und Oratorien zu machen, nach wilden Tigern, sanften Tauben, röhrenden Hirschen und summenden Bienen.

„Tiere und Töne“ (Diogenes Verlag, 139 Seiten, inkl. CD, 19,90 €) heißt ihr neues Buch, das sie zusammen mit den Musikern des Complesso Barocco unter Alan Curtis im Schiller Theater vorstellt. Das Schöne an dem Abend: Man muss die jüngsten Fleischskandale nicht mitdenken, um sich an Händels sprudelnder Fantasie zu laben – man kann es aber und tut es unweigerlich und geht am Ende wundersam gestärkt, mit festem Rückgrat nach Hause. Musik als Katharsis: Ein Effekt, der sich selten so konkret einstellt.

Neben der Bibel und allerlei antiken Schriften (von Plinius bis Ovid) dienen Leon vor allem mittelalterliche Bestiarien als Quellen. Mit angenehm melodiöser Stimme und einigem darstellerischen Talent (beim Zischen der Schlange, beim Quaken der Frösche) berichtet die 69-Jährige von ihren oftmals nicht unkomischen Recherchen. Sie tut das locker und unakademisch, gern aus der Vogelperspektive, was vielleicht nur Amerikaner so können. Wie in der Oper findet der Abend in Originalsprache statt – auf Englisch, mit deutschen Übertiteln.

Betont entspannt, mit wenig rhetorischem Ehrgeiz und gemächlichen Tempi, präsentieren sich auch Alan Curtis und sein Originalklang-Ensemble. Die Akustik des Schiller Theaters dankt ihnen das wenig: Unten im Parkett tönen die Arien aus „Deidamia“, „Partenope“ oder „Floridante“ wie Griesbrei; oben im Rang lichtet sich das zwar etwas, dafür suppen die Stimmen hier gerne weg. Gleichwohl geben die beiden jungen schwedischen Sängerinnen Klara Ek und Ann Hallenberg ihr Bestes: Ek mit frischem, zartem Mozart-Sopran, Hallenberg, als indisponiert angekündigt, mit robustem Mezzo. Darauf einen leckeren Gemüseteller. Christine Lemke-Matwey

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