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Kultur: Tischbeins Tücken

Die ganze Wahrheit über Loriot: Heute moderiert Vicco von Bülow zum letzten Mal die Berliner Aids-Gala. Wie ist er eigentlich, bevor er auftritt? Beobachtungen von Walter Jens

Er war Friedrich der Große, ich war Voltaire: 16 Mal bin ich mit Loriot aufgetreten, mit ihm und der Erzählerin Karin Kiwus: im Wiener Burgtheater, in der Husumer Stadthalle, den Münchner Kammerspielen, in Berlin und in Schloss Sanssouci, wo wir vor allen bundesdeutschen Ministerpräsidenten auftraten. Und Herr Stoiber musste sich anhören, dass Friedrich Bayern für ein nur mit Ostprovinzen vergleichbares zurückgebliebenes Land hielt.

Das Besondere an Loriots Humor ist seine Genauigkeit. Wenn man glaubt, er improvisiert, hat er immer am meisten geübt. Dieses Maximum an Studium ergibt am Ende das Spielerische, die schwebende Leichtigkeit, den Esprit, die Eleganz. Nehmen wir seinen Wagner: Wenn Siegfried bemerkt, dass Brünnhilde kein Mann, sondern eine Frau ist und deshalb nach seiner Mutter ruft, kann man diesen Ruf auf sehr verschiedene Arten artikulieren. Aber es kommt darauf an, ihn beinahe selbstverständlich klingen zu lassen: Was tun Männer, wenn sie nicht weiter wissen? Sie rufen nach ihrer Mutter.

Ich kenne niemanden, der so professionell arbeitet wie Vicco von Bülow. Wir betreten zur Probe den Saal, alles scheint in Ordnung. Aber Loriot ist mit der Tonprobe überhaupt nicht zufrieden. Ein Techniker prüft die Akustik vom zweiten Rang aus, stehend. Loriot ist entsetzt. Der Techniker soll sich hinsetzen, weil sich die Lesung – und da hat er Recht! – im Sitzen ganz anders anhört als im Stehen. Nach einer halben Stunde, in der immer wieder der Hall geprüft wird und mehr Menschen sich hinsetzen müssen, damit die Akustik derjenigen im später vollen Saal entspricht, ist Loriot immer noch nicht zufrieden. Undenkbar, dass er sagt: So ist es gut. Das sagen in seinen Augen nur Dilettanten.

Dann geht es an die Tische. Der Tisch von Herrn Jens ist zwei Zentimeter höher als der von Vicco von Bülow. Der technische Leiter sagt: Das stimmt nicht, messen Sie mit dem Zollstock. Es stellt sich heraus, dass Loriot Recht hat. Also müssen meine Tischbeine abgehobelt werden. So geht es weiter, Detail für Detail. Nicht aus Gründen der Pedanterie, sondern wegen seiner absoluten, bewundernswerten Professionalität.

Jetzt kommt die Aufführung. Wir sind aufeinander eingespielt, haben aber die Texte noch einmal durchgesprochen. Loriot verspricht sich vielleicht vier Mal. Ich tröste ihn damit, dass ich mich mindestens 15 Mal versprochen habe. Ja, Sie, sagt er dann. Das heißt so viel wie: Ich, Walter Jens, bin ein ehrenwerter Dilettant, der den Voltaire wie in einer Vorlesung gibt. Er hingegen ärgert sich über den kleinsten Versprecher seines Friedrich. Das Höchste, sagt er immer wieder, ist unerreichbar. Aber das beinahe Höchste nicht. Dabei bleibt er bei aller Perfektion immer lustvoll und inspiriert seine Partner. Für mich hat es über all die Jahre nichts Schöneres gegeben, als der Zweite nach Loriot zu sein.

Vielleicht ist es gar nichts spezifisch Deutsches, was er in seinen Sketchen aufs Korn nimmt. Er mag keine Tumbheit, hat aber Mitleid mit den kleinen Leuten. Seine eigentliche Diktion ist jedoch preußischfranzösisch. In seiner Art steckt ein Hauch des französischen Berlin: das Saloppe, das immer Haltung bewahrt.

Nein, die Hoffnung, dass es vielleicht doch noch einmal zu einem kleinen Abschiedsgespräch zwischen Friedrich dem Großen und Voltaire kommt, mag ich nicht aufgeben. Aber wenn Loriot sagt: Schluss, dann ist Schluss. Nachklappern gehört nicht zu seinem Handwerk.

Walter Jens lebt als Schriftsteller und Literaturwissenschaftler in Tübingen.

Aufgezeichnet von Christiane Peitz .

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