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Kultur: Tötet den Präsidenten!

Nicholson Bakers Roman „Checkpoint“entsorgt die Wut der Amerikaner über den gewonnenen Krieg

Jay und Ben sind zusammen zur Schule gegangen. Jetzt sind sie erwachsen. Sie treffen sich in einem Hotel in Washington DC. Jay trägt eine Fantasie mit sich herum. Er will den amerikanischen Präsidenten ermorden, George W. Bush. Jays Pläne sind noch nicht ausgereift. Vielleicht kann er Bush mit einer funkgesteuerten, fliegenden Kreissäge umbringen, vielleicht zerquetscht er ihn unter einem ferngesteuerten, radioaktiven Felsen. Ben ist entsetzt. Sein Freund macht ihm Angst. Ihr Gespräch halten sie auf einem Tonband fest.

„Checkpoint“ heißt der neue Roman des Bestseller-Autors Nicholson Baker. Er erscheint am kommenden Wochenende, hat 115 Seiten und kostet 18 Dollar. Der Verlag Alfred A. Knopf startet ihn mit einer ambitiösen Erstauflage von mehr als 75000 Exemplaren. Baker ist ein Großer unter den US-Autoren. Politisch war er bisher nie aufgefallen. Allerdings war sein 1995 erschienenes Werk „Vox“ in die Annalen des Starr-Reports eingegangen. Das Buch, das vollständig aus einem Sextelefonat besteht, hatte Monica Lewinsky Bill Clinton geschenkt. Anspruchsvoll, eigenwillig, satirisch: So kannte man Baker bislang.

Nun wird ihm womöglich bald das Attribut „radikal“ angehängt. Er habe das Buch geschrieben, weil viele Amerikaner eine Art hilflose Wut über Bush wegen des Irakkrieges empfänden, sagt der Autor. „Ich wollte die Besonderheiten dieser Wut beschreiben. Wie reagierst du auf etwas, von dem du glaubst, dass es schrecklich falsch ist? Wie bewahrst du dich davor, deswegen verrückt zu werden?“ Entsprechend drastisch lesen sich die Dialoge. Jay, der Attentäter in spe, hasst Bush. „Er ist jenseits des Jenseits. Was er mit diesem Krieg gemacht hat. Der Mord an Unschuldigen. Und nun die Gefängnisse. Das ist zu viel. Es macht mich so wütend. Es ist außerdem eine neue Art von Wut.“

Bis vor wenigen Tagen war das Manuskript von „Checkpoint“ streng geheim. Am vergangenen Dienstag veröffentlichte die „Washington Post“ erste Auszüge. Die Rechtsgrundlage lieferte sie vorsorglich gleich mit. Zum Mord am Präsidenten aufzurufen, ist in den USA verboten. Eine fiktive Person indes davon fantasieren zu lassen, müsste vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sein. Kaum besser als Bush – „der nicht gewählte, scheißbetrunkene Ölmann“ – kommen übrigens Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld weg. Das sind „rostige Wracks“ und „Zombies“, denen Würmer aus der Nase kriechen. Amerikanische Reaktionen auf solche Passagen stehen noch aus. In Deutschland werden Bakers Romane von Rowohlt herausgegeben; dort ist das „Checkpoint“-Manuskript vor einer Woche eingegangen.

Eine „ernsthafte Polemik“ sei sein Buch, sagt Baker. Der Titel ist einer wahren Begebenheit entlehnt, die Jay im „Sydney Morning Herald“ gelesen hatte. Darin stand, wie amerikanische Soldaten vor einem Jahr eine schiitische Familie auf der Flucht an einem Checkpoint erschossen. Zwei junge Mädchen wurden von den Kugelsalven enthauptet. Jay erbricht sich, als er Ben von dieser Geschichte erzählt.

„Checkpoint“ ist nicht bloß ein politisch extremer Roman, sondern ein Symptom. Etwas bricht auf in Amerika und drängt mit Macht an die Öffentlichkeit. Zeitungen wie die „New York Times“ und „Washington Post“ entschuldigen sich reuevoll bei ihren Lesern für ihre unkritische Haltung der Bush-Regierung gegenüber vor dem Irakkrieg. Auch das Wochenmagazin „New Republic“ macht einen Rückzieher. „Von unseren Argumenten ist nichts übrig geblieben.“ Auf CNN gesteht Kommentator Tucker Carlson: „Es ist mir peinlich, den Irakkrieg unterstützt zu haben.“

Michael Moore wiederum feiert mit „Fahrenheit 9/11“ sensationelle Erfolge. Der Film mag plump und demagogisch sein und mit Verschwörungstheorien arbeiten: Doch offenbar erfüllt er ein Bedürfnis. Das Bush-Bashing scheint wie eine Droge. Es macht süchtig. Von „Stupid White Men“ hat Moore weltweit vier Millionen Exemplare verkauft. Die Terroranschläge vom 11.September 2001 hatten Amerikas Opposition zum Verstummen gebracht. Der Appell zur nationalen Einheit erstickte die Kritik. Jetzt wird das Versäumte nachgeholt, das Aufgestaute abgelassen. Tabus gibt es keine mehr. Manche sagen bereits eine demokratische Erneuerung voraus, vergleichbar mit der konservativen Kulturrevolution von 1994.

Nicholson Baker ,

Jahrgang 1957, stammt aus Rochester, New York. Er lebt heute in Berkeley, Kalifornien. Auf Deutsch erschien zuletzt sein Roman „Eine Schachtel Streichhölzer“

(Rowohlt).

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