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Weltbürger. Tom Stoppard, 1937 als Sohn einer jüdischen Familie im tschechischen Zlín geboren, kam über Indien nach England.

© Thilo Rückeis

Tom Stoppard zum 80.: Reisen ans Licht

Von der schwarzen Komödie bis zu den Küsten Utopias: der Dramatiker, Drehbuchautor und Oscar-Preisträger Tom Stoppard feiert seinen 80. Geburtstag.

Auch wenn er an diesem Montag schon seinen 80. Geburtstag feiert, steckt Tom Stoppard noch voller Fantasien, Stücke, Projekte und sieht mit seiner ergrauten Lockenmähne allemal aus wie ein bestens gealterter Rockstar, wenn nicht gar Ladykiller. Dabei ist er, der außer als Ehrendoktor oder Gastdozent nie eine Universität besucht hat, ein waschechter Intellektueller. Ein Dichter, dessen Einbildungen auch seiner Bildung entspringen.

Als wir uns zuletzt in London trafen, im Café des National Theatre an der Themse, meinte er nur, er werde ein wenig schwerhörig. Im Theater bekomme er die Untertöne nicht mehr so gut mit, im Kino gehe das leichter. Tatsächlich gehören Bühne und Film bei ihm zusammen. Denn Tom Stoppard ist der weltweit erfolgreichste lebende Dramatiker und Drehbuchautor. Bei der Berlinale 1999 hatte er den Silbernen Bären für das Script zu „Shakespeare in Love“ bekommen und kurz danach den Oscar. Zuvor hatte er schon Drehbücher für Fassbinder („Despair – Eine Reise ans Licht“, mit Dirk Bogarde), für Steven Spielberg oder George Lucas’ „Indiana Jones“ geschrieben. Auch Thriller wie „Das Russland-Haus“ nach John le Carré oder „Enigma“ tragen Stoppards Handschrift.

Nur im deutschsprachigen Theater, das außer in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht mehr so weltberühmt ist, erinnert man sich an Stoppard heute nur noch mit Mühe. Dabei haben sie ihn mit seiner schwarzkomödiantischen Shakespearevariation „Rosencrantz und Güldenstern“ oder mit „Travesties" von Berlin bis Wien überall gespielt. Im Theater, der eigentlichen Gedächtniskunst, ein Fall fast von kollektivem Alzheimer.

Der weltweit meistgespielte Dramatiker wird in Deutschland viel zu wenig aufgeführt

Im Oscar-Jahr 1999 hat ihn die Queen zum Sir Tom gemacht: den 1937 als Sohn einer jüdischen Familie im tschechischen Zlín geborenen Tomás Strassler, dessen Eltern mit ihm und seinem Bruder nach dem deutschen Einmarsch 1939 bis Singapur geflohen waren – und bald darauf die Mutter mit den Kindern noch weiter nach Indien. Der Vater war 1941 bei der Invasion der Japaner gestorben, der zweite Mann der Mutter, ein britischer Offizier mit Namen Stoppard, adoptierte 1945 die beiden Söhne und brachte die Familie nach England. Erst später hat der junge Tom Stoppard als angehender Gerichtsreporter und Dramatiker (die gleiche Kombi wie bei Thomas Bernhard) erfahren, dass seine Großeltern und weitere Verwandte in Theresienstadt und Auschwitz ermordet wurden.

Stoppard hat vor jetzt exakt 50 Jahren in seinem Durchbruchdrama „Rosencrantz und Güldenstern“ die beiden (wohl namentlich jüdischen) Nebenfiguren, die in Shakespeares „Hamlet“ einer doppelten Intrige zum Opfer fallen, gewitzt weiterleben lassen; er hat 1974 mit „Travesties“ tatsächlich die Travestie eines höchst geistvollen Geschichts- und Geschichtendramas erfunden, indem er James Joyce, Lenin und den Dada-Dichter Tristan Tzara zusammenbrachte.

Immerhin, im September gibt's eine deutsche Erstaufführung - in Wiesbaden

Die Drei waren vor der Russischen Revolution tatsächlich zeitgleich in Zürich. Bei „Hapgood“ versponn er einen Spionagethriller mit der Quantenmechanik und in seinem vielleicht schönsten Stück „Arkadien“ 1993 entfaltete er einen poetisch raffinierten Kunstkrimi zwischen der Zeit Lord Byrons und der Gegenwart. 2006 wurde „Rock ’n’Roll“ in London im Beisein der Stoppard-Freunde Václav Havel und Mick Jagger uraufgeführt: ein Stück über Pop, den Prager Frühling 1968 und die Moral westlicher Linksintellektueller.

Das Thema der geistigen und politischen Revolte prägt viel größer und ins 19. Jahrhundert versetzt auch sein mehrteiliges Epochendrama „Die Küste Utopias“. Es wurde seit 2002/2007 in New York, London, Moskau und Tokio inszeniert, aber in Deutschland noch nie. Immerhin kommt im September sein 2015 in London uraufgeführtes jüngstes Stück „The Hard Problem“ zur deutschen Erstaufführung, in Wiesbaden. Es geht um Hirnforschung und Hedgefonds, um den rätselhaft widersprüchlichen Zusammenhang von Geist und Materie – eine knappe, pointensichere Tragikomödie von tieferer Aktualität. Tom Stoppard will dazu wohl kommen. Er sagt: „Ich habe schon so lange nichts mehr gehört vom deutschen Theater“. Aber damit meint er nicht seine leichte Schwerhörigkeit.

Kafka hat der gebürtige Tscheche noch nie adaptiert

Fremdsprachige Stoffe sind ihm nicht fremd, auch wenn er sie nur aus Übersetzungen kennt. Er hat Stücke von Nestroy, Schnitzler und Slawomir Mrozek erfolgreich adaptiert. Bei unserem letzten Treffen fragte ich ihn, ob er als gebürtiger Tscheche, als Liebhaber des Absurden und von Künstlerdramen noch nie an die Figur Kafkas gedacht habe. „Oh, das wäre eine Idee!“, lächelt Stoppard. Für ein Auftragswerk. Dazu müsste man ihn erstmal verführen. Vielleicht hätte ja ein deutsches Theater, wenn es denn noch Theaterstücke spielt, hierauf Lust. Feiern aber sollten wir ihn an diesem Festtag nun allemal.

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