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Kultur: Toontown heißt jetzt Zozoville

Wie die Zeichner Johan Potma und Mateo Dineen städtischen Sperrmüll in ein Fantasiereich verwandeln

Zozoville ist ein Ort mit vielen Augen. Aus allen Ecken starren einen seltsame Gestalten an. Kreaturen in solchen Formen und Farben sieht man sonst höchstens im Traum. Sie sehen sich ähnlich. Aber sie stammen von unterschiedlichen Vätern. Einige von Johan Potma und andere von Mateo Dineen. Zozoville ist ein Ort, der überhaupt lange nur in den Köpfen dieser beiden Künstler existierte. Vor zwei Jahren haben sie ihn von dort in die Mainzer Straße in Friedrichshain verlegt. Die Galerie Zozoville, in der die beiden ihre Monstermalereien in einem Hinterzimmer herstellen, ist ein eigenes Universum. Aber: „Zozoville passt zu Berlin, es hat auch diese raue Schale mit Ecken und Kanten“, sagt Johan. Vor allem aber ist jedes der Bilder „ein Stück recycelte Stadt“. Denn sie malen mit ihren Acrylfarben immer auf alten Holz- oder Metallstücken: Schilder, Türen, Fenster, Blechdosen. Im hinteren Teil der Galerie stapelt sich das Gerümpel.

Sonntags stehen sie auf dem Boxhagener Platz, um ihre Originale, aber auch Poster und Postkarten zu verkaufen. Der Stand wird meist von einer Menschenmenge belagert. Poster zieren inzwischen viele Berliner Wohnungen, auch solche, die ansonsten keine Monster beherbergen. Wie viel die seltsamen Wesen mit einem selbst zu tun haben!

Wer hat sich nicht schon gelegentlich morgens um 7 Uhr beim Blick in den Badezimmerspiegel gefühlt wie jenes traurige blaue Ungetüm mit den winzigen blutunterlaufenen Augen? Und wer hat nicht schon mal so vollkommen planlos und abwesend wie dieses eiförmige Fellwesen mit den ungleichen Kugelaugen in die Welt geglotzt? „Wie unbeholfen er wirkt“, sagt Johan über seine Schöpfung. Es klingt anerkennend. Bei jedem Verkauf eines Originals sind die beiden etwas traurig. „Wir leben ja schließlich richtig mit ihnen. Sie sind ein bisschen wie unsere Kinder.“ Mateo ist den Zozovillianern noch näher: Wenn er in den Spiegel schaut, sieht er ein Zozoville- Monster – graue Haut mit schwarzen Flecken, einen langen Rüssel, borstenähnliche schwarze Haare und ein freches Grinsen – sein Selbstporträt.

Natürlich zeichnet das Mateo-Monster. Wie sein Schöpfer. Auch jetzt gerade. Er sitzt neben seinem Kompagnon auf einem fast identischen Fünfziger-Jahre- Cocktail-Sessel. Der Bezug ist ausgeblichen, als Unterlage dient ihm der Couchtisch. Er kniet beinahe. Auf Johans Block ist bereits eine Art Kartoffel zu sehen mit riesigen Augen. Genau gegenüber hängt schon ein ähnliches Wesen an der Wand, auch seine Vorfahren müssen Kartoffeln gewesen sein. Es hat winzige Feenflügelchen, man kann sich nicht vorstellen, dass sie ein so schweres Wesen tragen könnten. Die Flügel sind Johans Markenzeichen. Warum Flügel? Johan lacht: „Weil ich der Boss bin und die Macht habe, jedem Flügel zu verleihen.“

„Hey, ich zeichne auch was. Guck mal“, sagt Mateo halb im Scherz wie ein Kind, das sich zu wenig beachtet fühlt. Die beiden wirken überhaupt verspielt, wahrscheinlich weil sie immer noch dasselbe tun wie damals, als sie kleine Jungs waren. Dabei sind sie Mitte dreißig. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass sie sich und Zozoville ausgerechnet in Berlin gefunden haben, der Stadt, in der das Peter-Pan- und Pippi-Langstrumpf-Syndrom besonders stark ausgeprägt ist. Auch die Zozoville-Monster wollen trotz aller künstlerischen Perfektion nicht erwachsen werden.

Johan kam aus Holland nach Berlin, Mateo aus San Francisco. Beide haben Illustration, Johan zusätzlich Grafik-Design studiert. Ihre Stile und Motive waren schon ähnlich, bevor sie sich bei einer von Mateos ersten Ausstellungen begegneten. Schnell stellten sie fest, dass sie die Welt durch dieselbe seltsame Brille sahen. Das schweißt zusammen. Der Entschluss, gemeinsam die Galerie zu eröffnen, lag nahe. Schnell wurden ihre Bilder immer ähnlicher. „Das löste zwiespältige Gefühle aus“, sagt Mateo. „Es war einerseits ein Segen, jemanden zu haben, der so tickt wie man selbst. Andrerseits war da dieses Gefühl, die eigene künstlerische Identität zu verlieren.“ Also versuchten sie eine Zeit lang, sich wieder auseinander zu entwickeln. Doch das führte bei beiden nur zu einer Blockade. Seitdem lassen sie den Dingen ihren Lauf. „Wir sprechen eben beide die gleiche ganz besondere Sprache, aber in unterschiedlichen Dialekten.“

Johans Bilder enthalten oft Collage-Elemente, etwa indem besondere Schrifttypen eingefügt werden. „Und deine Bilder sind ein bisschen melancholischer“, sagt Johan zu Mateo. Der nickt. „Aber das Beste ist, dass ich mich selbst mit meinen Bilder zum Lachen bringen kann“, antwortet dieser. Johan sitzt immer noch ein paar Stunden fasziniert vor einem Bild, wenn er es fertig hat. Ganz in seine eigene Welt versunken. „Jeder soll in den Bildern seine eigene Geschichte finden“, sagt er. Das funktioniert anscheinend für viele. Inzwischen haben sie überall auf der Welt Fans. Zwei Filmprojekte sind in Arbeit, eins davon für den Fernsehsender Nickelodeon.

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