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Kultur: Topographie des Tatorts

Die Welt als Modell: Thomas Demand wird im New Yorker MoMA gefeiert. Aber sein Atelier hat er in Berlin. Ein Besuch

Die vier Stühle auf dem Podium sind leer, ebenso die Namensschilder auf dem Tisch. Allein die halbleeren Gläser erinnern daran, dass hier eben noch Menschen vor einer regenbogenfarbenen Studiowand saßen. Und doch stimmt etwas nicht mit diesem Bild. Zu glatt wirken die Oberflächen und trotz aufgeschlagener Notizblöcke sowie liegen gebliebener Stifte scheinen sie unbenutzt und kühl. Thomas Demands „Studio“-Foto aus dem Jahr 1997 zeigt gar nicht das Fernsehstudio, in dem einst Robert Lembke die zentralste aller Fragen stellte, sondern nur ein Modell davon. Wir sehen gewissermaßen das Foto eines Kartenhauses, es besteht aus Pappe und Papier.

Was bin ich? Das scheinen den Betrachter auch die Arbeiten von Thomas Demand zu fragen, des derzeit umworbensten Fotokünstlers seiner Generation, der jetzt mit einer Einzelausstellung im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) geehrt wird. Dabei geht es dem 1964 bei München geborenen Künstler keineswegs um Taschenspielertricks. Eher um das dichte Geflecht von Originalen, Kopien und Metamorphosen, das unser Bildergedächtnis bestimmt. Nicht immer wählt er dabei so harmlose Sujets wie Lembkes „Was bin ich?“-Studio. Mit „Badezimmer“ etwa (ebenfalls 1997) eröffnet er den Blick auf eine blau geflieste Badewanne. Der weiße Duschvorhang ist halb geschlossen, die Badezimmermatte verrutscht, Neonlicht bricht sich im klaren Wasser. Es ist die Simulationdes Hotelbadezimmers, in dem 1987 der tote Ministerpräsident von Schleswig- Holstein Uwe Barschel in der Wanne lag, seine Veröffentlichung erschütterte die Republik. Demand hat den Toten weggelassen, aber die gleiche Perspektive gewählt und die Szenerie exakt aus Pappe nachgebaut.

Viele seiner Bilder haben biografische Bezüge, doch Tatorte wie jener Pariser Tunnel, in dem Lady Di verunglückte, dominieren sein Werk. Wobei Demands Pappwelten keine Rätselbilder sind, die gelöst wären, wenn man den Ort ausfindig gemacht hätte. Die Fotografien geben gar nicht vor, etwas Reales abzubilden, sie konstruieren die Objekte der Darstellung neu, stellen die Realität von Abbildungen in Frage. In Zeiten, in denen die Grenzen zwischen realer und medialer Wirklichkeit fließend geworden sind und Nachrichten mit den Bildern identifiziert werden, die wir uns von einem Ereignis machen, verfolgt Demand ein kunstvolles Spiel der Dimensionen: Aus einem Pressebild bastelt er ein dreidimensionales Abbild, um diese Skulptur durch ein Foto in die zweite Dimension zurückzutransformieren.

Seit 1996 hat Demand, der in München, Düsseldorf und London studierte, sein Atelier in Berlin. Zurzeit ist es nahezu leer. Noch vor Wochen hat er hier unter Hochspannung seine bisher wichtigste Ausstellung vorbereitet: die mit 26 Werken umfangreiche erste Einzelausstellung im Museum of Modern Art nach der Wiedereröffnung. Die jüngste Arbeit „Attempt“, eine Darstellung von Raketenwerfern, mit denen die Rote Armee Fraktion 1977 in Karlsruhe aus einer Wohnung das Gebäude der Bundesanwaltschaft beschießen wollte, ist gerade noch pünktlich zur Eröffnung fertig geworden. Eine Version davon hängt an der Wand, doch sonst erinnert wenig an eine Künstlerwerkstatt. Überdimensionale Stellwände, ein Lastenaufzug, Leitern, die Plattenkamera auf einem schweren Rollfuß. Auf dem großen Tisch liegen Papier- und Pappreste in verschiedenen Stärken und Farben und große Uhu-Tuben neben Büchern über die RAF. Die fast lebensgroßen Pappmodelle sind nicht mehr da. Sie werden nach der Aufnahme zerstört, selbst wenn es so aufwändige Werke sind wie „Clearing“. Der Blätterwald entstand für die Biennale in Venedig, 280000 Papierstückchen klebte er an Papieräste und -stämme. Für dieses Sisyphusunternehmen hatte er ausnahmsweise Assistenten, üblicherweise arbeitet er allein.

Die zwei- bis drei Monate dauernde Phase des Modellbauens sei für ihn nach wie vor von zentraler Bedeutung, meint Demand, auch weil sie immer wieder Überraschungen bietet. „Wenn ich vorher schon genau weiß, wie ein Foto am Ende aussehen wird, mache ich es nicht“, sagt er. Eine Haltung, die auch bei der Wahl seiner Autoren zum Tragen kommt. Während sich Künstler üblicherweise Kunsthistoriker als Kommentatoren suchen, werden Demands Kataloge auch durch Literaten geprägt – gerade weil sie einen ganz eigenen Zugang haben. Die Berlinerin Julia Franck hat zur Einzelausstellung im Kunsthaus Bregenz im letzten Jahr eine Geschichte geschrieben, „Middlesex“-Autor Jeffrey Eugenides bereits zwei Mal zur Feder gegriffen, zuletzt für den MoMA-Katalog. Seine Kurzgeschichte „Fotografisches Gedächtnis“ erzählt von dem Künstler Shanghai Buns, der aus Fotografien Miniaturmodelle anfertigt, die er fotografiert und anschließend wegwirft. Wie Demand trägt Buns eine Brille und auch die Anekdote, dass er sie als Kind während einer Schiffsfahrt verliert, geht auf den Künstler zurück. Doch die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit sind fließend. Demand ist weder spindeldürr, noch trägt er Lederhosen, und ganz sicher ist er nicht in einem brasilianischen Hotel ums Leben gekommen.

In gewisser Hinsicht hat Demand den Traum vom Gesamtkunstwerk verwirklicht. Er ist Konzeptkünstler, Fotograf, schafft Skulpturen und Filme, bearbeitet mit ausgeklügelten Perspektiven und präziser Lichtführung Probleme, die eigentlich von der Malerei herrühren, und er findet in Zusammenarbeit mit Architekten wie dem Kölner Arno Brandlhuber präzise Lösungen für die architektonischen Herausforderungen, die ihm die Ausstellungsorte stellen. Für Sao Paulo entstand etwa ein eigener Pavillon, für das Kunsthaus Bregenz ein mobiler Raum aus beweglichen Vorhängen.

In Berlin waren seine Arbeiten zuletzt 1998 bei der ersten Berlin Biennale und in der Galerie Schipper & Krome (jetzt Ester Schipper) zu sehen. Zwischen 15000 und 24000 Mark kosteten die Werke damals bei einer Auflage von sechs Stück pro Motiv. Inzwischen ist der Preis mindestens auf das Sechsfache gestiegen, wobei bei Auktionen mitunter auch mehr gezahlt wird. Trotzdem konnten die Freunde der Nationalgalerie für den Hamburger Bahnhof in diesem Februar ein Werk erwerben. Es ist die Fotografie „Gate“ aus dem Jahr 2004. Ein Rollband zum Durchleuchten des Handgepäcks. Doch Sicherheit strahlt es nur so lange aus, bis einem bewusst wird, dass als Vorlage die Anlage diente, die von den Attentätern am 11. September passiert worden war.

Museum of Modern Art, New York, bis 20. Mai. Katalog 39,95 Dollar, in Europa bei Thames & Hudson.

Katrin Wittneven

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