zum Hauptinhalt

TOR!: Durch Mitleid wissend

Richard Wagner glaubte in seinem Allmachtstaumel, alles zu können, selbst Persisch, diese alte Kultursprache. Und so übersetzte er sich den Titel seiner letzten Oper, des Bühnenweihspiels „Parsifal“ selbst: parsi – fal = der reine Tor.

Richard Wagner glaubte in seinem Allmachtstaumel, alles zu können, selbst Persisch, diese alte Kultursprache. Und so übersetzte er sich den Titel seiner letzten Oper, des Bühnenweihspiels „Parsifal“ selbst: parsi – fal = der reine Tor. Für Kundige ist das höchstens eine Arabeske, für den Komponisten dagegen die spielentscheidende Zutat. Denn seine Gralsritter sind beim Hantieren mit Kelchen, Speeren und Tauben sowie dem peinlichen Beachten von Keuschheitsgelübden in einen ausweglosen Zustand von Schmerz und Erlösungswahn geraten. Aus diesem kann sie allein ein reiner Tor befreien. Einer, der nicht eingeschnürt von Regeln und Geboten losstürmt. Der nur der eigenen Muskelkraft vertraut und kein Mitleid kennt, weil er nie mit jemandem mitgelitten hat. Ein weltfremder, vaterloser Kindskopf, stolz und voreilig.

So einen reinen Tor erkennt man sofort daran, dass er frevelt, aus purem Übermut. Parsifal schießt und trifft garantiert, einen heiligen Schwan zum Beispiel, weil er alles treffen kann, was fliegt. Entfesselter Sportsgeist schlägt Moral – und die unfitten Gralsritter haben ihren Erlöser gefunden. Doch die Verheißung lautet vollständig: „Durch Mitleid wissend, der reine Tor, harre sein’, den ich erkor.“ Parsifal hat noch Leidvolles am eigenen Körper zu erleben, ohne dabei seine Unschuld zu verlieren. Da hat es Siegfried leichter, der das Fürchten in den Armen einer Frau lernen darf. Parsifal muss ein einziger Kuss der Kundry genügen. Darauf hin versinkt er in Schmerzens- und Entsagungsfantasien und ist reif für die Nachfolge des obersten Gralshüters.

Wagners überlegenes Spiel mit der Jenseitsfalle, das sich auf Wunsch des Meisters nur im Stadion am Grünen Hügel zutragen sollte, findet nicht nur Bewunderer. „Ich verachte jedermann, der den Parsifal nicht als Angriff auf die Sittlichkeit empfindet“, wetterte Nietzsche. Im Doppelpass aus Naivität und christlichem Mitleidskult spürte er „Hass auf das Leben“. Parsifal bleibt rein – und damit nicht nur für Nietzsche ein ewiger Tor.

Bisher sind in unserer Tor-Serie erschienen: Torschluss (13. 6.), Torgesänge der Vuvuzela (15. 6.), Schlesisches Tor (17. 6.), Porta Nigra (21. 6.)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false