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Crooner werden. Friedrich Liechtenstein erfindet sich wieder neu.

© Rainer Maillard

Tourauftakt von Friedrich Liechtenstein: Boitzenburg ist böse

Singen, was nicht zu sagen ist: Friedrich „Supergeil“ Liechtenstein präsentiert seine neue Show im Heimathafen Neukölln: „Schönes Boot aus Klang“.

Schau an, Meister Liechtenstein zündet eine neue Stufe seiner raketenhaften Entertainerexistenz. Mit dünnerem Bart und Bauch wirkt er am Samstagabend in Berlin beim Tourauftakt seiner Konzertreise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz wie frisch geschlüpft, wie neu erfunden. Ein bisschen unsicher auch, wie der sonst in schillernden Morgenmänteln oder geräumigen Smokings aufzutreten pflegende Gentleman den Abend in einem schmalen schwarzen Einreiher überstehen soll. Immer wieder wandern die Hände unsicher über den Stoff, überprüfen den Hosenbund, befühlen die Manschettenknöpfe. Tatsächlich: Friedrich Liechtenstein, unlängst als coolster Hund am Edeka-Kassenband zu weltweiter Internetberühmtheit gelangt, ist nervös. Das kontrastiert charmant die supercoole Pose, die der Performancekünstler, Schauspieler, Sänger, Markenbotschafter und Lakoniker aus Berlin-Mitte trotzdem unverbrüchlich draufhat.

„Guten Abend, wir werden das hier sehr lässig angehen“

Flankiert von Elektrosamples, Piano- und Querflötenimprovisationen eröffnet er die „Schönes Boot aus Klang“ betitelte Show mit einer relaxt gepfiffenen Nummer. „Guten Abend, wir werden das hier sehr lässig angehen“, teilt er überflüssigerweise mit und stürzt sich in ein altes, seit zehn Jahren variiertes Lieblingsliedermotiv – den „Delphinmann“. In raunendem Bassbariton erzählt, säuselt, singt und keckert Liechtenstein die blau blubbernde, versponnene Ballade. Und offenbart später an diesem elegant dahinfließenden anderthalbstündigen Abend im Rahmen eines Songs über Nudistenferien an einem „peinlichen Waldsee im märkischen Sand“, wo die Delphinbegeisterung herrührt: Der um 1956 herum in Stalinstadt als Hans-Holger Friedrich geborene Künstler war Westfernsehgucker – ein „Flipper“-Fan.

Sein anlässlich einer Vinylaufnahmesession im vergangenen Juli in den Berliner Emil Studios etabliertes Trio besteht neben ihm aus zwei in Nu-Jazz-Zirkeln bekannten Herrschaften – Arnold Kasar, Piano, und Sebastian Borkowski, Tenorsaxofon. Ersterer hat auf dem Flügel auch die Elektronik liegen und kombiniert Samples und Beats mit Keyboardklängen und perlenden Pianoläufen. Letzterer wechselt zwischen Querflöte, Tenorsaxofon und Bassklarinette und zieht damit wahlweise silberne, goldene oder bronzene Edelmetalllinien durch den Saalbau Neukölln. Der ist in seiner Höhe, seiner Tiefe, seiner vergilbten Pracht die ideale Bühne für die drei akustisch ernsthaften wie elektronisch verspielten Herren, die stilistisch von Schlager über Lounge-Jazz bis Dancefloor ein Genre nach dem anderen touchieren.

Im Zentrum immer Friedrich Liechtenstein, nur das Nötigste moderierend, nur sparsam – aber unter anfeuernden Publikumspfiffen – den Electric Slide tanzend, viel mehr die Musik als das Ikonen-Ego pflegend. Auch wenn er en passant erwähnt, dass er ab Pfingstmontag auf Arte mit der zehnteiligen Reihe „Tankstellen des Glücks“ zu sehen ist.

„Eskapismus lohnt sich, wenn man den Weg zurück findet“

Nach dem 2014er Elektronikalbum „Bad Gastein“ und der 2015er Biografie „Super – Mein Leben“ ist der spät und überraschend zu Ruhm gekommene, zeitweilig besitzlos lebende Eskapist jetzt deutlich auf dem Weg zu seinem eigentlichen Ziel, ein Crooner sein zu wollen. Und siehe da, der an der Ernst-Busch-Hochschule ausgebildete geniale Dilettant, als der er sich lange ironisierte, verfügt über Musikalität und eine kraftvolle, nuancenreiche Singstimme. Die ist nicht so cool wie sein in Deutsch und Englisch gebrummelter Barry-White-Sprechgesang, aber dafür bewegend und schön. Wie sagt er so treffend in seiner Biografie: „Eskapismus lohnt sich, wenn man den Weg zurück findet.“

Dass die selbst geschriebenen Nummern wie „Terrestrische Wellen“, „Gajev“ oder ein mit der Erkenntnis „Boitzenburg ist böse“ endendes Lied über Boitzenburg schwer zu entschlüsseln sind, macht sie nicht weniger welthaltig. Der Text bestünde aus Überschriften einer zufällig gelesenen Ausgabe der „New York Times“ von 2005, erzählt Liechtenstein nach einem englischsprachigen Nonsense-Lied. Die habe er halt quergelesen, grinst er, und resümiert: „Wirklichkeit ist wichtig.“ Unbedingt! Aber nur, wenn Friedrich Liechtenstein sie neu und anders zusammensetzt. Sonst geh’ mir los damit. Seine Wirklichkeit klingt warm und gut. Wer fragt nach Sinn, wenn Menschen jubeln. Für den Meister selbst ist das des Glücks genug.

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