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Transnistrien: Campingplatz der Träume

Ein Spiel auf Echtrasen - mit Duschen und Isomatten: Transnistrien geht zelten - eine moldauische Theater-Installation gastiert am Berliner HAU.

„Wir respektieren Moldau!“, lautete der Satz, den unsere kleine Reisegruppe im April bei ihrer Erkundung Transnistriens am häufigsten zu hören bekam. Diese rhetorische Salve wurde immer dann auf Russisch abgefeuert, wenn die Besucher – darunter die Berliner Autorin Tanja Dückers und die Dramatikerin Nicoleta Esinencu aus Moldaus Hauptstadt Chisinau – Zweifel an der Eigenstaatlichkeit des schmalen Landstrichs am Ostufer des Djnestr zu äußern wagten. Die selbst ernannte Pridnestrowische Moldauische Republik (PMR) mit ihrer Hauptstadt Tiraspol voller Lenin-Denkmäler ist ein völkerrechtlich nicht anerkannter Phantomstaat mit rot-grüner Flagge samt Hammer-und-Sichel-Emblem.

Nach einem blutigen Bürgerkrieg spaltete sich 1992 der slawisch dominierte Landesteil im Nordosten von der rumänischsprachigen Republik Moldau ab. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die 14. Russische Armee, die sich seitdem als „Friedensarmee“ mit himmelblauen Helmen nach Uno-Vorbild geriert. Russland ist am Erhalt des ungeklärten Status quo gelegen: Transnistrien gilt als Dorado für illegale Waffenproduktion, Geldwäsche und Zwangsprostitution, als das „Monte Carlo des Ostens“, wie Vitalie Ciobanu meint, der Vorsitzende des moldauischen PEN und Chefredakteur der wichtigsten Literaturzeitschrift „Contrafort“.

Ciobanu gehört zu den 17 Künstlern, Kuratoren und Publizisten, die – nach einer ersten Station beim Festival „Theaterformen“ in Braunschweig – ab morgen im Berliner Hebbel am Ufer (HAU 2) auf 400 Quadratmetern Echtrasen zu „Moldova Camping“ einladen. Franziska Sauerbrey und Isabel Raabe, die Gründerinnen des Berliner „büros für kulturelle angelegenheiten“, hatten die Idee, auf einem Indoor-Campingplatz mit klassischem Zubehör wie hundert weißen MonoblockGartenstühlen, Isomatten und Duschen ein fast unbekanntes Land vorzustellen, das durch Rumäniens EU-Beitritt an den Rand Europas geriet. Der „Moldova Automat“ spendet keinen Kaffee, sondern Souvenirs und Informationen wie ein „Beauty Set“, in dem erzählt wird, wie die Liebesgeschichte einer 16-Jährigen in Zwangsprostitution endete. Auch die Brause spendet kein Wasser: Vitalie Ciobanu, der Filmemacher Dumitru Marian oder Lilia Dragneva, Direktorin des Center for Contemporary Art in Chišinau, setzen das Publikum einer „Diskursdusche“ mit geballten Informationen aus.

„Moldova Camping“ wurde mit Mitteln des Hauptstadtkulturfonds gefördert und entstand unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Bukarest und der Allianz Kulturstiftung. Die Interaktion mit den Zuschauern ist auf der künstlerischen Spielwiese ausdrücklich erwünscht – sei es beim Filmprogramm „Generation Chisinau“, bei der Verkostung der berühmten moldauischen Weine oder der szenischen Lesung „Grüße aus Transnistrien“. Die Schauspielerinnen Nina Kronjäger und Astrid Meyerfeldt werden befremdliche bis hochkomische Erlebnisse vortragen, die Tanja Dückers und Nicoleta Esinencu auf ihrer Reise festhielten.

Entsprechend dem provisorischen Charakter des Campingplatzes handelt es sich bei Moldau samt seinem abtrünnigen Ostteil um ein Land in Transition, eine Art Matrioschka verschiedener Kulturen: Die heutige Republik Moldau ging aus der Moldauischen Sowjetrepublik hervor (auch Moldawien genannt), die wiederum das Gebiet des historischen Bessarabien umfasst, stets ein Zankapfel zwischen Rumänien und Russland. Die gut vier Millionen Einwohner des ärmsten europäischen Landes verdienen durchschnittlich 90 Euro im Monat.

„Die Geschichte verlief recht bizarr“, sagt Nicoleta Esinencu: „Deshalb handelt es sich wirklich um eine Identitätskrise. Die Leute wissen nicht, ob sie Moldauer, Rumänen, Russen oder sonst was sind. Sie stellen sich diese Frage oft, vielleicht zu oft.“ In ihrer Schulzeit hieß ihre Muttersprache Rumänisch noch „Moldauisch“ und musste mit kyrillischen Buchstaben geschrieben werden. Ironisch bezeichnet sich die 29-Jährige als „Enkelin Lenins“. In ihrem neuen Stück „Cmd“, das mit deutschen Untertiteln aufgeführt wird, zieht sie der komplizierten Mentalität ihrer Heimat sarkastisch die Wurzel: „Moldau ist ein einziger ethnischer Flickenteppich. Gewalt, Diskriminierung und Hass. Gibt es noch was anderes?“

Unbedingt. Der Video-Künstler Pavel Braila etwa hatte 2007 die obere Halle der Nationalgalerie mit seiner Projektion „Baron’s Hill“ über die Fantasiepaläste moldauischer Sinti veredelt. Nun bittet der Documenta-Teilnehmer zum „Tent Event“ an den Samowar. Während das symbolische Zelt vom Band mit tragikomischen Alltagsbegebenheiten beschallt wird, schenkt Braila Sheriff-Tee aus.

Der Sheriff-Konzern gehört der Familie des transnistrischen Präsidenten Igor Smirnow und hat das ganze Land im monopolkapitalistischen Griff – vom Fernseh- und Radiosender über die größte Bäckerei bis hin zum millionenschweren Fußballclub FC Sheriff. Den abschließenden „Versuch zur Erstellung einer transnistrischen Teilrealität“ will das Wiener Fotografenkollektiv Fischka unternehmen, das mit dem Tiraspoler Radiosprecher Andrey Smolensky bereits das ausdrückliche Progapandabuch „Hier spricht Radio PMR. Nachrichten aus Transnistrien“ herausbrachte.

Und hier schwebt eben auch ein großes Fragezeichen: Wie passen westliche Ironie und die Realität einer pseudosowjetischen Miniaturdiktatur zusammen, der die wenigsten ihrer rund 550 000 Bewohner entfliehen können? Hoffentlich finden sich bei allem Happening-Glück auch einige Antworten auf der Campingwiese.

HAU 2, Hallesches Ufer 32. 17. Juni ab 18.30 Uhr, 18. Juni ab 19.30 Uhr. Vorverkaufskasse: Tel. 25 90 04 27

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