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Kultur: Trash in 3-D Volksbühne: Ulli Lommels „Fucking Liberty!“

Ein Alien ist in der Volksbühne gelandet, es nennt sich Ulli Lommel und kommt aus einer fernen Galaxie namens Amerika. Seltsam muss es dort zugehen.

Ein Alien ist in der Volksbühne gelandet, es nennt sich Ulli Lommel und kommt aus einer fernen Galaxie namens Amerika. Seltsam muss es dort zugehen. In seiner Wahlheimat Los Angeles, diesem schillernden Planet Pop, kreist alles um Berühmtheiten, die kultisch verehrt werden, und eine Religion, die „American Dream“ heißt. Davon will Lommel erzählen, und noch viel mehr. Damit er sich ein bisschen wie zu Hause fühlen kann, hat Bühnenbildner Bert Neumann ihm eine bizarre Varietéfassade gezimmert, eine riesige Micky Maus des Grauens, die aus ihrem Totenschädelmaul musizierende GIs, tanzende schwarze Girls und Gorillas mit rosa Fell speit. Das Versprechen, die Drohung des Abends: „500 Jahre Amerika in einer Show!“

Ulli Lommel war mal Fassbinder-Schauspieler, Ende der 70er stieß er zu Andy Warhols Factory, etwas später drehte er den Nummer-1-Horrorhit „Boogey Man“ und ließ sich als B-Movie-Macher in Roger-Corman-Tradition in den USA nieder. Lommel liebt das Land, in dem er seit Jahrzehnten lebt, weil es den Horizont weitet und das Freiheitsversprechen einlöst, on the road von Küste zu Küste. Auf der anderen Seite beargwöhnt er den Coca-Cola-Kapitalismus, den Celebrity-Wahn, die miese Comedy auf 100 Fernsehkanälen.

„Fucking Liberty!“ hat er sein spätes Theaterdebüt als Regisseur betitelt, schon der Titel soll von diesem Zwiespalt erzählen. Das Treiben auf der Bühne womöglich auch. Lommel hat unlängst seine Biografie geschrieben, sie heißt „Zärtlichkeit der Wölfe“, so wie sein erster eigener Film. Er schildert darin, ganz der lässige Chronist seiner selbst, die Begegnungen mit Berühmtheiten wie Jackie O., Truman Capote, William S. Burroughs. Aus diesem biografischen Fundus schöpft auch seine Vaudeville-Sause in der Volksbühne, die darüber hinaus das ganz große Fass an Populärmythen aufmacht. Kathrin Angerer trippelt im Monroe-Dress über die Bühne, Bernhard Schütz fegt als Gangster Big Boy Caprice im Fatsuit herum. In Filmeinspielern – nach neuester Mode in 3-D gedreht, weswegen alle Zuschauer diese albernen Brillen tragen müssen – öffnen Sophie Rois als Ingeborg Bachmann oder Jeanette Spassova als Angela Davis undurchsichtige Extradimensionen.

Und Lommel? Der lässt sich eingangs als toter Michael Jackson im Sarg herein- tragen, steht aber bald als plauderseliger Conferencier im Westernoutfit wieder auf, der vom enormen deutschen Einfluss auf die amerikanische Geschichte (der Kartograf Waldseemüller, der angeblich Amerika den Namen gab! der preußische General Steuben!) erzählt, oder von Tony Curtis auf Koks. Das Ganze strahlt eine komplett entrückte kalifornische Relaxtheit aus, die mit Theater nichts zu tun hat und auch nicht haben will. Der Regisseur ist in eine fremde Welt gefallen, hoffentlich findet er wohlbehalten wieder heim. Patrick Wildermann

Wieder am 23. und 31. Januar.

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