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Kultur: Trauer-Anatomie

Hanns Eisler hat seinen Lehrer Schönberg verehrt.Zugleich legte er aber auch Wert auf künstlerische und politische Unabhängigkeit.

Hanns Eisler hat seinen Lehrer Schönberg verehrt.Zugleich legte er aber auch Wert auf künstlerische und politische Unabhängigkeit.Schönbergs akzeptierte dies.Er wollte keine Epigonen heranzüchten.Tatsächlich hat Eisler das Schönberg-Erbe so eigenwillig angetreten, daß über seine Zugehörigkeit zur Wiener Schule immer noch gestritten wird.Was lernt man überhaupt von einem Kompositionslehrer? Diese Frage provozierte das Modern Art Sextett mit seinem interessanten Programm zum Eisler-Jahr.Auf Hauptwerke von Schönberg und Eisler folgten Uraufführungen des Eisler-Schülers Georg Katzer sowie von dessen Schüler Lutz Glandien.Obwohl sich Eisler in seinem Kammermusikwerk "14 Arten, den Regen zu beschreiben", das er 1944 seinem Lehrer zum 70.Geburtstag widmete, in der Besetzung auf dessen "Pierrot lunaire" berief, gibt es auch einen versteckten Bezug zur Kammersymphonie.Anklänge an deren Adagio übernahm Eisler im Schluß seines Werks, um damit ebenfalls Trauer zum Ausdruck zu bringen.Eben die tiefe Trauer hatte er 1954 als das Zukunftsweisende von op.9 bezeichnet.Er sollte Recht behalten.

Der sonst so optimistische Eisler zitierte damit eine Haltung, die er als Grundton der Schönbergschen Musik empfand.In seinem zwölftönigen Variationenzyklus distanzierte er sich ansonsten von Schönbergs Überfülle des Ausdrucks und der Themen.Die transparente und fast spielerische Wiedergabe der "14 Arten" hob sich denn auch deutlich ab von der leidenschaftlichen Dichte der Kammersymphonie, die das Modern Art Sextett mit ebenso respektablem Resultat in der reduzierten Webern-Fassung spielte.

Die von Schönberg zum Klang aufgeschichteten Quartenintervalle, die Eisler im Schlußarpeggio seines Regen-Opus aufgriff, schienen in "Konstellation 44" von Lutz Glandien nachzuklingen.Was bei Schönberg Symbol des Aufbruchs war, gefror hier zu starren Blöcken, die trotz rhythmischer Wiederholung nicht in Fahrt kamen.Erst das unbegleitete Klarinettensolo (Unolf Wäntig) im lichten Schlußteil atmete Befreiung.Ausgearbeiteter und feinziselierter als bei Glandien dominierten auch bei Katzer statische Strukturen.Seine Komposition mit dem vielsagenden Titel "Arietta - Hektischer Stillstand - Adagietto" wirkte ebenso diskret und gedämpft wie Eislers gleichlanges Regen-Werk.Ebenso wie dieses könnte man seine schattenhaften Bewegungen sowie den Verzicht auf Ariosi als Anatomie der Trauer deuten.Daß Musik ihre Entstehungszeit kommentiert, kristallisierte sich bei allen Material- und Formdivergenzen als gemeinsame Haltung der vier Generationen heraus.Schönberg, Eisler und Katzer ging es in ihrem Unterricht nicht bloß um Regeln, sondern um Wahrhaftigkeit.Ein kennerisches Publikum verfolgte im Ballhaus Naunynstraße die werkgerechten Wiedergaben durch das Modern Art Sextett mit Interesse und Zustimmung.

ALBRECHT DÜMLING

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