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Cruise

© Eventpress Müller (dpa)

Trauerfeier: Die Zeit ist aus den Fugen

Trauerfeier für Ulrich Mühe an der Berliner Schaubühne: Tom Cruise wohnte überraschend der Zeremonie für den verstorbenen bei. Mühe war vor Kurzem an einer Krebserkrankung gestorben.

Ulrich Mühe. Ein Verlust, der größer wird statt kleiner. Ein Mensch und Schauspieler, mit dem man sein weiteres Leben verbringen wollte, als Zuschauer, als Kritiker, als Freund, unbedingt.

Ulrich Mühe wünschte sich kurz vor seinem Tod die Gedenkveranstaltung an der Schaubühne, wie sie am Sonntag stattfand. Drei Filme wünschte er sich und keine langen Reden. Alle kamen, Berliner, Nichtberliner, Weggenossen, Prominenz. Susanne Lothar, seine Frau. Ingrid Andree, seine Schwiegermutter. Eine deutsche Schauspielerdynastie: Susanne Lothar ist die Tochter von Ingrid Andree und Hanns Lothar. Alle sind sie überragend. Ulrich Mühe war die glücklichste Ergänzung, die sich denken ließ.

Schaubühnenchef Thomas Ostermeier redete kurz und knapp. Mit Mühe zu arbeiten war sein Herzenswunsch, seit er Mühe zum ersten Mal am Deutschen Theater gesehen hatte. Es wurde Ulrich Mühes letzte Inszenierung, „Zerbombt“ von Sarah Kane. Die Mitspielerin Katharina Schüttler machte ein wackliges Video in bei ihrem Gastspiel in London. Mühe stand zum letzten Mal auf der Bühne. Die Zuschauer husteten nicht. Sie raschelten nicht. Die Videowackler machten gar nichts, Mühe war da, in seiner Bescheidenheit, mit seinem Charme.

Zum Ereignis wurde der Dokumentarfilm „Die Zeit ist aus den Fugen“. Mühe spielt Hamlet am Deutschen Theater. Shakespeares Hamlet, Heiner Müllers Hamlet in „Hamletmachine“. Wer es nicht wusste, sah es jetzt: Die achtstündige Aufführung ist eine Sensation. Geprobt, als die DDR zusammenbrach. Dieser Zusammenbruch wird gezeigt, die Proben werden gezeigt, die Gedanken des Ensembles ausgesprochen. Drei Ebenen, die sich ergänzen, verstärken, die Heiterkeit erzeugen und sehr viel Bitterkeit. So war es. Soviel wussten die damals schon. So ist es geworden, 18 später.

Ulrich Mühe ist so besonders, weil er denkt. Und zwar immer denkt. Er fragt Heiner Müller, ob es ein richtiger Abgang wäre oder ein falscher. Er wüsste doch, dass er während des Abgehens von einem Satz aufgehalten würde, also wäre es ein falscher Abgang. Die Figur, die gleichzeitig der Schauspieler ist. Er wird nicht ungeduldig bei der Diskussion über die Betonung eines Wortes bei einem Shakespeare-Satz aus drei Worten. Er interviewt Hans Modrow am Tag der Wahl. Fühlte sich Modrow manchmal wie eine Hamletfigur? Ja. Zuviel gezögert, zu wenig gewagt.

Sagt Heiner Müller: „Statt Revolution gab es Demokratie“, lacht das Publikum. Müller benennt die deutschen Pole: Stalin und Deutsche Bank. Und ein aufgeregter Mann an der Börse schreit: „Kaufhausketten müssen da hin, Baumärkte, die haben doch keine Baumärkte!“ Dass es mehr als Geld gibt, haben wir inzwischen alle vergessen.

Ulrich Mühe sagt: „Wenn während der Aufführung keiner den Saal verlässt, haben wir was falsch gemacht.“ Was ihn am meisten beschäftigte: Was bewirkt Theater? Wir hoffen, viel. Besonders, wenn dieser Film zum Schulunterricht gehören würde. Wer hätte gedacht, dass Gesamtdeutschland eines Tages nur noch von Hartz IV Empfängern, vernachlässigten Kindern, ausländerfeindlichen Jugendlichen, deutschenfeindlichen Ausländern, aus verfetten Fernsehkonsumenten und menschenverachtenden Managern besteht?

Ulrich Mühe ist etwas geworden, was es eigentlich nicht geben kann, ein gesamtdeutscher Schauspieler. Den Osten erlebt, reflektiert, den Westen erlebt, erflektiert. Ein exemplarisches Leben. Ein Mensch, den wir brauchten, liebten. Den wir immer noch brauchen und weiter lieben werden.

Ulrike Kahle-Steinweh

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