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Kultur: Treibhaus

Die Galerie ScheiblerMitte ehrt den Künstler Öyvind Fahlström mit einer Retrospektive

Ein exotischer Garten treibt Blüten. Federleicht entfalten sich die farbigen Blätter im grünen Raum. Tritt man näher, lassen sich auf den üppigen Blumen jedoch die Auswüchse der Weltwirtschaft ablesen. Minutiös hält Öyvind Fahlström 1973 in seinem „Garden - A World Model“ die Ungerechtigkeit von Reichtum und Armut fest. Aurel Scheibler hat seine Kölner Galerie 1991 mit dem schwedischen Künstler eröffnet. Zwanzig Jahre später feiert ScheiblerMitte diesen hellwachen, unbestechlichen Einzelgänger in einer mitreißenden Ausstellung – ernst und verspielt, anziehend und beißend. Die Galerie wird zum philosophischen Laboratorium.

Fahlströms Blick entgeht nicht ein Detail: Er notiert das Datum für die Erfindung von Katzenfutter mit Gourmetgeschmack. Und nicht der große Zusammenhang: die Unterernährung, die Gewinne der multinationalen Konzerne. In seinem bunten Treibhaus wächst die Welt zu einem komplexen System politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeiten zusammen. Ursprünglich wollte Fahlström seine Kunst der Utopie widmen. Aber die politische Realität der 60-er und 70-er Jahre drängte die Zukunftsvisionen in den Hintergrund, auch wenn das Vertrauen in neue Gesellschaftsmodelle in seinen Werken immer mitschwingt.

Auf seine gründliche, beharrliche Weise blieb Öyvind Fahlström bis zu seinem Tod 1976 ein Außenseiter. 1928 als Sohn eines Norwegers und einer Schwedin in Sao Paulo geboren, wuchs er in Brasilien auf. Als Elfjähriger besuchte er Verwandte in Schweden, der Krieg trennte ihn neun Jahre lang von seinen Eltern. Er studierte Archäologie und Kunstgeschichte, beschäftigte sich mit alt-mexikanischen Reliefs und Astronomie, schrieb für Radio und Zeitung. Sein erstes großes Gemälde: „Ade-Ledic-Nander“ ist inspiriert von dem Science Fiction Autor A.E. von Vogt. Da verständigen sich Zukunftswesen über Antennen. Ähnlich scheint der Künstler seine Sensoren stets auf Empfang gestellt zu haben. Wie ein Außerirdischer blickt er aus der Zukunft auf die Ungerechtigkeiten der Welt.

Auch als er 1961 nach New York zog, blieb er Außenseiter. Zwar war er mit allen Pop-Größen bekannt, mit Rauschenberg wie mit Warhol. Zwar holte er mit dem Comic die Popkultur in seine Kunst. Aber für Fahlström war das nur die Hülle, nicht der Inhalt. Für die Amerikaner blieb er der Europäer, für seine schwedischen Landsleute schrieb er Zeitungskolumnen über sein Leben in New York. Plastische, packende Texte, durchsetzt von politischer Schärfe und Beobachtungen. Auch in seiner Kunst sind die Weltnachrichten allgegenwärtig. Während er nachts zeichnete und malte, lief der Fernseher.

In der Ausstellung sind einige gezeichnete Kolumnen als Drucke zu sehen. Weil Fahlström wollte, dass seine Bilder vielen zugänglich sind, hat er sich früh um die Vervielfältigung gekümmert. Damit auch der Betrachter eingreifen kann, erfand er veränderbare Szenarien. Wunderbar die beiden Faltskulpturen „Black House“ und „White House“ (1968) mit kleinen Figuren, die sich mittels Magneten verschieben lassen. Lyndon B. Johnson, den amerikanischen Präsidenten während des Vietnamkrieges, beraubte Fahlström prinzipiell seiner Nase. Das vergrößerte Riechorgan kann in dem Bühnenbild beliebig versetzt werden. Ein Schweinegrunzen „Oink“ lässt sich nach Geschmack applizieren (200 000 Euro). Der Künstler überlässt dem Betrachter das letzte Wort. Er sei ein Zeitzeuge, kein Erzieher, erklärte er diese Zurückhaltung. Die verspielte Beweglichkeit der Arbeiten macht aber auch verständlich, warum Fahlström als Vorbild Jean Tinguely nennt.

Jede Bewegung verändert die Perspektive. Der Künstler verbindet den nördlichen und den südlichen Blick. Seine Weltkarten erschrecken in ihrer Hellsichtigkeit. Doch neben der analytischen Klarheit existiert noch ein lyrisches Element in diesem sprachaffinen Werk. Manchmal löst Fahlström Zeichen aus Comics und verdichtet sie zu abstrakten Gebilden, zu Gefühlskontinenten, fern von Protest und Politik. „Nights, Winters, Years (Words by Justin Hayward)“ von 1975 zeigt so eine Fabelwelt, die wie auf einer Blase von Traumschmerz treibt. Bei ScheiblerMitte hängen die Originalzeichnung (64 000 Euro) und der Farbsiebdruck (1600 Euro, Edition: 500) nebeneinander.

Man kann diese Kunst lesen wie eine Wandzeitung, man kann sich verführen lassen von ihrer subtilen Anziehungskraft. Sie nimmt das vernetzte Denken in Zeiten der Globalisierung vorweg. So nachdenklich zukunftszugewandt sind die Arbeiten, dass man gern erleben würde, wie Fahlström unsere Gegenwart aufmischt. Simone Reber

ScheiblerMitte, Charlottenstr. 2; bis 21. April, Di-Sa 11-18 Uhr.

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