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Kultur: Triumph der Baracke

Die Berliner Schaubühne im Küchenstudio: George F. Walkers „Suburban Motel 1–6“

Die Baracke ist wieder da, es lebe die Baracke. Auf der Bühne brüllt Jule Böwe Kay Bartholomäus Schulze an, im Hintergrund kotzt jemand ins Klo, der Verstärker brennt durch, Musik dröhnt, und von draußen schauen Passanten neugierig durch die Glasscheiben hinein. Die Fototapete (Bühne: Jan Pappelbaum) blättert von der Wand, der Raum ist am Ende des Abends völlig zugemüllt in einer Orgie von Blut und Gewalt. Abendliche Far-out-Besucher drücken sich derweil draußen die Nase platt und lachen schon einmal gröhlend, wenn Robert Beyer als betrunkener Motel-Wirt auf der Straße die Hosen herunterlässt.

Der Umzug der Schaubühne ins ehemalige Küchenstudio quer über die Straße und die Saisoneröffnung mit George F. Walkers Einaktern „Suburban Motel 1–6“ kann man nicht anders als programmatisch sehen – auch wenn die Schnellproduktion nicht mehr als ein leichter Appetizer vor Saisonbeginn sein soll. Denn das immer noch gefährdete Haus am Lehniner Platz, das nach zwei Spielzeiten und eher verunglückten letzten Premieren dringend einen Eröffnungserfolg braucht, besinnt sich auf seine Ursprünge. Es sind wieder jene kleinen, schnellen, schmutzigen Stücke, Stücke wie „Shoppen und Ficken“ oder „Fette Männer im Rock“, mit denen Thomas Ostermeiers Erfolg in der Baracke am Deutschen Theater begann. Es ist wieder jene Mischung aus Hysterie und genauem sozialen Blick, aus Trash und Tristesse, aus der das Ensemble Funken schlägt. Überhaupt: Es ist der Ensemblecharakter, jenes „jeder ist gleich wichtig“, der das 14-köpfige Motel-Personal durch den Abend trägt.

Das Team um Thomas Ostermeier greift noch auf ein weiteres Erfolgsmerkmal der Baracke zurück: Szenische Lesungen, wie sie jedes Jahr im Festival der Internationalen Neuen Dramatik (F.I.N.D) gezeigt wurden. Szenische Lesungen sind etwas Wunderbares. Denn szenische Lesung heißt: Wenig Regie, viel schauspielerische Kraft. Schnell geprobt, unaufwendig in Ausstattung, billig für’s Haus. Instant-Theater für Neugierige. Für manche Stücke reicht das völlig aus. Auch George F. Walkers sechsteiliger Reigen „Suburban Motel“, beim F.I.N.D.-Treffen im Frühjahr 2003 entdeckt und nun als Inszenierung angekündigt, ist nicht mehr als eine Folge solcher Lesungen – auch wenn Armin Petras, Enrico Stolzenburg und Thomas Ostermeier als Regisseure firmieren. Ihre Regie beschränkt sich jedoch auf einige Anleihen bei den Blues Brothers (Armin Petras mit „Genie und Verbrechen“), bei Ken Loach (wieder Petras mit „Problemkind“), bei „Disco Pigs“ (Thomas Ostermeier mit „Risiko“) und einige Papprequisiten (Petras bei „Problemkind“ und „Loretta“). Zugegeben: Man sieht schon Unterschiede in Tempo und Intensität, vor allem zwischen Thomas Ostermeier („Risiko“) und seinem ehemaligen Regieassistenten Enrico Stolzenburg („Nur für Erwachsene“ und „Das Ende der Zivilisation“). Aber sehr viel mehr sieht man nicht.

Paare und Passanten

Die Schauspieler jedoch laufen zu Hochform auf: Voller Verve hangeln sie sich durch ihren Text, deklamieren mit hochgestochener Stimme, brüllen, knödeln, chargieren – und improvisieren, so sie einmal den Text verlieren, in der gleichen Tonlage gnadenlos weiter. Zwischendrin immer viel Leerlauf, und dann geht es von vorne los. Ein bisschen Volksbühne ist das, mit dem lustvollen Aus-der-Rolle-Fallen, ein bisschen René Pollesch im überdrehten Hysterie-Tonfall, und sehr viel alte Baracke mit körperlichem Extremeinsatz bis hin zur Selbstverletzung. Jule Böwe als trotzige Denise oder Stephanie Eidt als zickige Staatsanwältin Jayne, Kay Bartholomäus Schulze als verantwortungsvoller Vater R.J., Gunnar Teuber als gutherziger Porno-Produzent oder Lars Eidinger als schmieriger Detektiv Max: Es sind einstündige Tour-de-Force-Ritte. Doch bei begnadeten Einzeldarstellern wie Anne Tismer sieht man auch, dass dieses durchgeknallte Ensemblespiel nicht jedermanns Sache ist. Robert Beyer, als Motelbesitzer Phillie das verbindende Element einiger Episoden, läuft als exaltierter Schmierendarsteller ohnehin außer Konkurrenz.

Der Ort: Ein heruntergekommenes Vorort-Motel, in dem sich nacheinander sechs Paare treffen. Gestrandete, Flüchtige, Verliebte und Durchreisende. Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren, könnte über der Tür stehen. Denn weder das junge Paar in „Problemkind“ – er gerade aus dem Gefängnis entlassen, sie drogenabhängig – hat eine Chance, noch das Zufallsliebespaar in „Nur für Erwachsene“ oder der arbeitslose Henry in „Das Ende der Zivilisation“. Die Kleingangster in „Genie und Verbrechen“, die auf Gewaltlosigkeit pochen, werden gerade deshalb am Schluss ein Blutbad anrichten und die verbrecherische Mutter in „Risiko“ setzt ohne zu zögern ihre Familie aufs Spiel.

George F. Walker ist in Kanada seit Jahren, Jahrzehnten ein Erfolgsautor, gerühmt für seine virtuose Verwendung verschiedener Genres von Soap über Melodram bis Slapstick und Boulevard. Inhaltlich stehen Quentin Tarantino und David Lynch Pate, auch Schriftsteller wie David Foster Wallace, Denis Johnson oder Stan O’Nan, mit schwarzem Humor und aberwitzigen Endlosschleifen. Hysterisch überdrehte Hoffnungslosigkeit ist das Schmieröl, mit dem Walker seine Milieuschilderungen am Laufen hält – und eine Zeit lang läuft das auch ganz gut.

Und doch zünden die Stücke nicht so, wie es sich die Macher erhofft haben. Wir sind cool, wir sind jung, wir sind Kult, sagt der Abend – und ist es deshalb gerade nicht. Denn nicht Entdeckerfreude, sondern ein doppelter Rückgriff auf Bewährtes steckt dahinter. Und vielleicht ist George F. Walker doch nicht ganz auf der Höhe der britischen Dramatiker wie Mark Ravenhill und Sarah Kane, die die Baracke einst entdeckte – zumindest nicht in der Form einer sechsteiligen Marathon-Lesung. Zu sehr hält er einen Ton, zu gleichförmig ist sein Bild einer verkommenen Welt: Zu schnell kennt man die Mechanismen des Verfalls und weiß, es wird auch in den nächsten Stücken nicht viel anders laufen. Es ist ein wenig wie Instant-Kaffee mit diesen Stücken: Sie sind heiß, schäumen kurz und bleiben doch ziemlich dünne Suppe.

Wieder vom 26. bis 31. August (in Einzelstücken) und vom 2. bis 4. September (jeweils zwei Stücke pro Abend) .

Christina Tilmann

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