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Kultur: Trümmerdelirium

Sie ist eine sinistre Schamanin des Rock. Als sie 1975 mit „Horses“ Punk-Geschichte schrieb, durchbrach Patti Smith für Frauen eine Schallmauer. Nach Jahren kommt sie jetzt nach Deutschland.

Von Nadine Lange

Kurz vor seinem Tod gründete Jimi Hendrix in der 8. Straße von Downtown New York die Electric Ladyland Studios. Etwa vier Jahre später, im Juni 1974, tauchten dort eine dünne Frau mit zerzausten Haaren und drei junge Männern auf, um zwei Lieder aufzunehmen. Ein Freund hatte ihnen Geld geschenkt, mit dem sie Studio B anmieten konnten. Das war damals winzig klein und das Grüppchen beeilte sich mit der Arbeit. Gitarrist Lenny Kaye, der auch als Produzent fungierte erinnert sich: „Wir haben zwei Aufnahmen von ,Piss Factory´gemacht, dann eine von ,Hey Joe´, und dann hat Tom Verlaine seinen Gitarrenpart nachträglich dazugespielt und ich eine kleine Bass Drum, bum bum-bum, und das wars.“ Die erste Single von Patti Smith war fertig. Sie erschien auf einem eigenen Label, La Mer, in einer Mini-Auflage und war nur in New Yorker Plattenläden, einigen Buchhandlungen oder per Post erhältlich. Dafür hatte Patti Smith die meisten Exemplare handsigniert.

Über 20 Jahre hinweg waren die musikalischen Anfänge einer der rätselhaftetesten Musikerinnen des Rock kaum zugänglich, weil sie nie auf einem Studioalbum oder einer Kompilation erschienen. Jetzt kann man zumindest „Piss Factory“ wieder hören: Patti Smith hat den Song für ihr wunderschönes Werkschau-Doppelalbum „Land 1975-2002“ (Arista) ausgewählt. Das fünf Minuten lange Stück ist eine Reise in die Mitte der siebziger Jahre, als die junge Frau aus New Jersey in New York schon keine Unbekannte mehr war. Sie hatte einen Lyrikband veröffentlicht und las ihre Gedichte in Begleitung von Lenny Kaye und dem Pianist Richard Sohl. Ihre Auftritte waren leidenschaftliche, leicht größenwahnsinnige Performances, so dass man sie bald mit den Stars der Beat-Poesie Kerouac und Ginsberg verglich.

Priesterin und stürzender Engel

Auf „Piss Factory“ haben Smith & Co. diese fiebrige Kunst trefflich festgehalten: Einige Klavierakkorde geben den Rhythmus vor, eine E-Gitarre dudelt munter vor sich hin, während eine Frauenstimme über harte Erfahrungen in einer Fabrik berichtet. Immer schneller, intensiver, lauter, spuckt Patti Smith die Worte aus, wiederholt die wichtigsten Stellen. Man spürt beinahe pyhysisch, wie dieses Mädchen seine Kraft sammelt, um dem heißen Schlund der Fabrik zu entkommen. Man weiß, sie wird es schaffen, wenn sie am Ende sagt: „I´m gonna be somebody, I´m gonna get on that train, go to New York City, I´m gonna be so bad, I´m gonna be a big star and I will never return.“

Zurückgekehrt ist Patty Smith tatsächlich nie. Zunächst allerdings war sie nur ein kleiner Star in einer ehemaligen Motoradfahrerbar, genannt CBGB´s, die wenig später zur Keimzelle des New Yorker Punk werden sollte. Patti Smith und ihre Gruppe traten dort oft mehrere Abende in der Woche auf. Sie hatten das Ziel „Rock auf die Straße zurückzubringen, in die Garage.“ Denn Rock war damals vor allem eine Sache großer Arenen und in den Charts zu finden. Bands wie Pink Floyd, Yes, Supertramp oder Deep Purple hatten sich seiner bemächtigt. Doch 1975 kam „Horses“, Patty Smiths Debüt-Album: exzentrisch, ekstatisch und und unmöglich zu ignorieren. Es konzentriert die Essenz dessen, wofür Patti Smith berühmt werden sollte: ihren beschwörenden, anschwellenden (Sprech-)Gesang, ihre poetisch-provokanten Texte, das solide Spiel ihrer Band. Auf dem Coverfoto ihres Freundes Robert Mappelthorpe lehnte sie mit androgyner Lässigkeit an einer weißen Wand, sie hatte ein weißes Männerhemd an und ein Sakko über die Schulter geworfen.

Seither ist sie eine sinistre Schamanin des Rock, Hohepriesterin und stürzender Engel zugleich. Die schier endlose Liste ihrer Vorbilder reicht von Rimbaud, Modigliani über Jim Morrison, Marianne Faithfull zu Brian Jones, Bob Dylan und Keith Richards. Sie zitiert, covert und huldigt sie in ihren Songs und Gedichten. Der Einfluss dieser vorwiegend männlichen Idole geht so weit, dass sie sich deren Blick und Perspektive aneignet und in ihren eigenen Texte mit männlicher Stimme spricht. Das reicht von der einfachen Schwärmerei für „Gloria“ bis hin zur Vergewaltigung in „Rape“. Dieses phallische Ich erklärte Patti Smith in einem frühen Interview einmal so: „Die meisten meiner Gedichte sind an Frauen geschrieben, denn Frauen inspirieren am meisten. Was sind die meisten Künstler? Männer. Von wem werden sie inspiriert? Frauen. Das Maskuline in mir wird vom Weiblichen inspiriert.“

Auch nach Flower Power und dem Beginn einer zweiten Frauenbewegung war das noch eine ungewöhnliche Position. Keine Frau im Musikbusiness vor ihr hat sich getraut, solche Sachen zu sagen. Patti Smith durchbrach damit für Frauen in der Rockmusik eine Schallmauer. Courtney Love beruft sich auf Smith, PJ Harveys letztes Album greift auf deren Rollenwechsel zurück und die Riot-Girl-Musik aus den neunziger Jahren verdankt ihr ebenfalls einiges.

Dabei hatte die heute 55-jährige Patti Smith in ihrer gesamten Karriere nur einen einzigen echten Hit: „Because The Night“. Der Song, den sie zusammen mit Bruce Springsteen geschrieben hatte, schaffte es in den US-Charts auf Platz 13 und in Großbritannien auf Platz 5. Er erschien auf dem 1978er-Album „Easter“, dessen Cover ihre unrasierten Achseln zeigte und berühmt machte. Der Titel ließ sich in zwei Richtungen deuten: Zum einen signalisierte er die Abkehr von Pattis Smiths anit-christlicher Pose („Jesus died for somebody´s sins but not mine“), zum anderen bedeutete er sehr wörtlich „Auferstehung“. Denn Anfang 1977 war die Musikerin bei einem Konzert in Florida von einer vier Meter hohen Bühne gestürzt und hatte sich zwei Halswirbel angebrochen – die nächsten Monate verbrachte die wilde Lady in Krankenhäusern und bei der Physiotherapie. Umso furioser gelang ihr die Rückkehr: „Easter“ bekam gute Kritiken und enthält mit „25th Floor“ und „Rock´n´Roll Nigger“ zwei ihrer kraftvollsten Songs überhaupt. In einem Refrain brüllt sie: „Outside of society, they´re waitin´ for me. Outside of society, that´s where I want to be.“

Von der Bühne an den Herd

Und tatsächlich war Patti Smith nur zwei Jahre später völlig außen vor – wenn auch anders als der Song es gemeint hatte. Relativ abrupt löste sie 1979 nach einem Konzert in Florenz ihre Band auf. Sie heiratete den Musiker Fred „Sonic“ Smith und gründete mit ihm in Detroit eine Familie. Bis auf das geflopte Album „Dream of Live“ (1988), das Patti und Fred Smith gemeinsam geschrieben hatten, waren die Achtziger sehr still. Das Paar und seine beiden Kinder lebte zurückgezogen, doch die reine Familienidylle war es wohl nicht: Victor Bockris schreibt in „Patti Smith – die unautorisierte Biographie“ ausführlich von Fred Smiths Alkoholproblemen und deutet an, dass der ehemalige Gitarrist der legendären Prä-Punk-Band MC5 zu Hause ein sehr patriachaler Typ war. Ein Jahr nach seinem Tod (und dem ihres Bruder Todd kurz darauf) kehrte Patti Smith 1995 langsam zurück: zur Musik, zu ihrer Band und nach New York.

Sie hat seither drei Platten aufgenommen und präsentiert sich inzwischen vor allem friedensbewegt bis sprituell. Sie wirkt dabei manchmal rührend anachronistisch und gelegentlich ein bisschen peinlich wie etwa auf „Gung Ho“ (2000). Doch irgendwie verzeiht man ihr selbst Mutter-Theresa-Songs und Ho-Chi-Minh-Huldigungen, denn Ernsthaftigkeit und Mut ihrer Art sind in der Popmusik heute sehr selten. Und Dichter, deren Feder vor einer Katastrophe wie dem 11. September nicht versagt haben, auch. Patti Smiths sperrig-verschrobene Zeilen über das „Trümmerdelirium“ (im Booklet von „Land“) sind beeindruckender als das meiste, was ihren Kollegen zum selben Thema eingefallen ist.

Patti Smith und ihre Band spielen: am 7.8. Köln, 8.8 Hamburg, 9.8. Berlin, 12.8. Jena, 13.8. München (siehe auch unsere heutige Beilage SONNTAG, Seite 3).

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