zum Hauptinhalt
Vielen Dank für die Blumen. Udo Jürgens Anfang der siebziger Jahre.

© Andreas Karsten/fotex.de

Erinnerungen an Udo Jürgens: Schlager mit Schlagobers

Udo Jürgens hat im Laufe seiner Karriere mehr als 100 Millionen Platten verkauft. Zu seinem 80. Geburtstag gratulierten wir dem Superstar mit unseren Lieblingssongs. Lesen Sie unsere Erinnerungen hier noch einmal nach.

17 JAHR, BLONDES HAAR

Udo Jürgens gehört zu den Künstlern, die anfangs von vielen nicht ernst genommen und erst nach ein paar Jahrzehnten in den Olymp der Feuilletons aufgenommen wurden. Das Gleiche gilt für Udo Lindenberg und für Loriot. Manchmal brauchen wir Kulturjournalisten einfach eine Weile. Er hat aber auch echte Schnulzen und schlichte Schlager gesungen. „17 Jahr, blondes Haar“ ist kein großes Kunstwerk, war aber ein großer Hit. Das Lied kam 1966 heraus, als Titelmelodie eines gleichnamigen Musikfilms, in dem Jürgens und sein Schlagerkollege Ricky Shayne mitspielten. Jürgens brachte in diesem Film auch „Merci, Chérie“, welches zweifellos der bessere Song ist. Ich war 13, diese Single habe ich mir gekauft. Etwa zeitgleich kaufte ich auch „Satisfaction“ von den Rolling Stones, es war eine Zeit der Ich-Suche. Für einen 13-Jährigen des Jahres 1966 bedeutete eine Beziehung zu einem 17-jährigen Mädchen etwa das, was für den amerikanischen Präsidenten die Mondlandung bedeutete, das war der Grund. Wenn ich die Single heute höre, stelle ich fest: Sie war gut. Eingängige Melodie, ziemlich rockig arrangiert, eingängiger Refrain, ein handwerklich tadelloser Schlager, der mit der britischen Popmusik dieser Zeit mithalten konnte. Auch Lindenberg oder Loriot haben, auf ihrem Sektor, solche Sachen gemacht. Den Rang eines Künstlers kann man daran erkennen, dass er selbst in seinen schwächeren Arbeiten ein gewisses Mindestniveau nicht unterschreitet. Harald Martenstein

EIN EHRENWERTES HAUS

Ich hatte ja keine Ahnung. Dachte, Udo Jürgens sei ein Schlagerfuzzi. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an? So’n Quatsch. Mit 33 Jahren zog ich in einen DDR-Plattenbau, das Leben lag vor mir. Berlin hatte ich bis dahin als tolerant, offen und fröhlich erlebt. Was ich nicht ahnte: Ab sofort würden Frau Hartmann (unter mir), Frau Fitzek (neben mir) und der Balkonsteher (schräg über mir) meinen Alltag regulieren. Natürlich wohnten sie schon immer dort und waren ausgezeichnet vernetzt. Auf dem ersten Zettel stand: „Hackenschuhe sind in der Wohnung auszuziehen!!“, auf dem zweiten Zettel: „Wer auch immer in dieser Wohnung wohnt, er/sie möge den Briefkasten leeren!“, dann verschärfte sich der Ton: „Nächtliches Fußgetrappel ist zu unterlassen!“ Schließlich kam Frau Hartmann persönlich auf mich zu und legte mir nahe, ab 21 Uhr nicht mehr zu baden. Als einmal der Vater zu Besuch war, pflegte der Balkonsteher besonders lange seine Geranien. Er konnte wohl nicht glauben, was er sah: Jetzt empfängt sie auch schon Ältere. Wahrscheinlich, um sich ein bisschen was dazuzuverdienen. Als ich dem Vater mein Leid klagte, lachte der und meinte: „Das ist ja wie im ,Ehrenwerten Haus‘.“ Und weil ich nicht für möglich hielt, dass Udo Jürgens tatsächlich eine sozialkritische Phase hatte, lud ich den Titel sofort auf meinen Player – und kriege noch heute gute Laune, wenn ich höre: „In diesem Mietshaus wohnen wir seit einem Jahr und sind hier wohlbekannt. Doch stell dir vor, was ich soeben unter unsrer Haustür fand: Es ist ein Brief von unsern Nachbarn, darin steht, wir müssen raus! Sie meinen du und ich wir passen nicht, in dieses ehrenwerte Haus ...“ Hey, hey – und das schon 1974. Esther Kogelboom

ABER BITTE MIT SAHNE

Die Sache mit den „eckigen Tassen“ ist bei uns in der Familie zum Insider-Witz geworden. Es muss Anfang der achtziger Jahre gewesen sein. Warum wir Kinder überhaupt mit unseren Alt-68er-Eltern in dieses gutbürgerliche Kaffeehaus geraten waren, erinnere ich nicht. Wohl aber, dass hier die perfekte „Aber bitte mit Sahne“-Atmosphäre herrschte. Viertel nach drei! Jeden Moment müssten jetzt Mathilde, Ottilie, Marie und Liliane durch die Tür spaziert kommen, die vier Tortentanten aus dem Schlagobers-Schlager, um sich in die plüschigen Polstersessel fallen zu lassen. Mächtige Matronen mit Kapotthütchen, wie sie Udo Jürgens in seinem sarkastischen Song von 1976 besungen hatte, Vertreterinnen jenes Wir-waren-Trümmerfrauen-jetzt-dürfen-wir-uns-auch-mal- was-gönnen-Typs, der später als Wilmersdorfer Witwe berühmt wurde. Schwarzwälderkirschgeschwängert lastete die Luft im Gastraum zwischen buttercremefarbener Auslegeware und baumkuchenbraunen Stilmöbeln. Standen da nicht Marzipanblumengestecke auf den Tischen? War das die Ruhe vor dem Sturm auf das Kuchenbuffet, zum stampfenden Rhythmus von Udos Boogie-Woogie-Klavier? Als das Serviermädchen mit einem Tablett herangeschwebt kam, auf dem der Kaffee in potthässlichen, fast quadratisch geformten Tassen dampfte, konnten wir nicht mehr, prusteten los. Eine explosionsartige Heiterkeitsentladung als Reaktion auf die kollektive Verspannung in diesem Kalorienbomben-Etablissement. Die übrige Kundschaft beobachtete die Szene missbilligend hinter vorgehaltenen Kuchengabeln. Möge uns dieser Verstoß gegen den Konditorei-Knigge dereinst gnädig verziehen werden. „Dass der Herrgott den Weg in den Himmel uns bahne – aber bitte mit Sahne!“ Frederik Hanssen

DER SCHUFT

Hits sind nur die Spitze des Eisbergs. Die wahren Songschätze liegen unter der medialen Wahrnehmungsoberfläche verborgen. Udo Jürgens hat rund tausend Lieder geschrieben, auf die „Seine größten Erfolge“-Kompilationen passen aber immer nur dieselben 12 oder 14 Stücke, von „Merci, Chérie“ bis „Ich war noch niemals in New York“. Wer kennt schon seinen Northern-Soul-Stomper „Stay in my World“, den japanischen Nr.-1-Hit „Wakare no asa“ oder die Anti-Terror-Hymne „Eine Hand ist keine Faust“? Jürgens hat seine vergessenen Kompositionen „Lieder, die im Schatten stehen“ genannt, eines der großartigsten heißt „Der Schuft“. Es erschien 1976 auf der Langspielplatte „Meine Lieder 2“, wurde vom deutschen Phillysound-König Joachim Heider produziert und ist heute nicht einmal auf Youtube zu finden. „Der Schuft“ beginnt mit einer funky Bassline und einem brodelnden E-Piano, später fräsen sich immer wieder sirrende Kunststreicher in die Worte des Sängers. Es geht um einen Mann, der in einer Diskothek ein junges Mädchen anspricht, zu einem Drink einlädt und sie flüsternd vor einem Aufreißer warnt: „Hör’ auf mich Mädchen / Der Mann ist ein Schuft, glaub’ es mir / Ich weiß es, ich kenn’ seine Gedanken / Er will nur das eine von dir.“ Der Erzähler in diesem Song muss schizophren sein, denn der Schuft – so endet die Geschichte – ist er selbst. Diabolischer als in diesem Disco-Inferno ist Udo Jürgens nie aufgetreten. Der doppelbödige Text, geschrieben von seinem Stammtexter Michael Kunze, spielt mit dem Image des Schlagerstars. Jürgens’ Affären mit jungen Partnerinnen gingen durch die Yellow Press, er hat mehrere uneheliche Kinder. Aber ist er deshalb ein Schuft? Nein, denn der Sänger war immer ehrlich. „Treue“, sagt er, „ist keine Frage des Charakters. Sondern der Gelegenheit.“ Christian Schröder

LIEBE OHNE LEIDEN

Als ich Anfang der Neunziger zum Studieren nach München zog, suchte ich mir sofort einen Hockeyverein. Die Wahl fiel auf den HC Wacker, dessen erstes Damenteam in der 1. Regionalliga spielte. Als neue und noch dazu recht junge Spielerin war ich natürlich integrationswillig, was abseits des Spielfeldes vor allem Trinkfestigkeit erforderte – und Langmut in musikalischen Fragen. Bonnie Tyler, Melissa Etheridge und Pur waren beispielsweise bei meinen Mitspielerinnen beliebt, entsprechend gestaltete sich die Bus-Beschallung bei Auswärtsfahrten. Mittelfeldspielerin Marion und ich waren als Grunge- und Britpop-Fans in der Minderheit. Gewöhnungsbedürftig fand ich quch die inoffzielle Hymne des Teams, die auf mir verborgenen Wegen zu diesem Status gelangt war: „Liebe ohne Leiden“ von Udo Jürgens und seiner Tochter Jenny. Zu vorgerückter Stunde begann im Klubhaus immer irgendeine Spielerin dieses 1984 geschriebene Abschiedsduett zu singen, andere fielen ein, spätestens bei dem „Du-du-du-du-du-du“-Part, der selbst betrunken noch zu bewältigen ist, war ich ebenfalls dabei. Bald konnte ich den Text auswendig, wobei mir die Stelle mit dem Leuchtturm, der jetzt anderswo steht, nie richtig einleuchtete. Aber der Refrain gefiel mir: „Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden/Und eine Hand, die deine hält./Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden/Und dass dir nie die Hoffnung fehlt ...“ Das konnte man leicht ironisch singen, aber auch mit Liebeskummertröstungsschmelz. Kam beides mehrfach vor. Als ich den Song kürzlich in einer TV-Doku hörte, wurde mir ganz warm ums Herz und ich dachte: Danke, Udo. Nadine Lange

Martenstein, Schröder, Lange, Kogelboom, Hanssen

Zur Startseite