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Hut ab. Helge Schneider unterstützt Lindenberg zu Beginn des Konzerts.

© dpa

Udo Lindenberg: Von Pankow bis Damaskus

'700 Stücke, was sollst'n da nehmen? Unverwüstlich: Udo Lindenberg in der Berliner O2-World.

Yeah! Da ist er ja! Yeah! Schüttelt die dünnen Stelzen! Setzt die Sonnenbrille ab! Hallöchen! Setzt sie wieder auf! Yeah! Nuschelt: „Ich mach mein Ding! Und Ihr auch! Also Euer Ding! Jeden Tach voll konsequent! Yeah! Wir feiern, und am Ende schrauben wir die Hallendecke ab! Yeah!“ Die man kaum noch sehen kann. Denn die gesamte O2-World ist voll bis Oberkante Unterlippe mit Lindianern. Lindianer jeden Alters, mit „Lindianer“- Aufdruck auf dem Sweatshirt, Bier in der Hand und Songtexten im Gedächtnis.

Udo macht sie fertig. Spielt sie gegen die Wand. Steht nach zweieinhalb Stunden noch wie eine Eins, nun ja, alters- und figurgebeugt eher wie eine Zwei auf der Bühne vor dem Panikorchester, den alten Recken, die ihn seit über 30 Jahren begleiten. Gitarre, Bass, Schlagzeug, Orgel, dazu ein Sänger und einige Sängerinnen mit viel Haar und wenig Stoff. Uns Udo, lederbeineschlackernd, hat alles im Griff, und hält beim Bad in der Menge auf dem Weg zur „Unplugged“-Insel in der Mitte der Halle so gekonnt seinen Hut fest, dass man versteht, warum Udo ein Lieblingsobjekt für jeden Comiczeichner ist: Der Mann aus Gronau hat aber auch dermaßen viele visuelle Alleinstellungsmerkmale, sakra!

Der Hut mit der angeklebten Matte hinten, die Brille, darunter die kajalumflorten Augen, das Lächeln mit den leicht verschobenen Mundwinkeln, die schultergepolsterte Silhouette – Udo sieht aus wie Helge Schneider, wenn er Udo parodiert. Helge steht seinem Kumpel Udo übrigens gleich zu Anfang mit dem Saxofon bei „Boogie Woogie Mädchen“ zur Seite und schlackert nur einmal ganz kurz als kleine freundliche Referenz udoartig mit den eigenen Gräten, ansonsten lässt er den Inhaber der Marken „Panikorchester“, „Likörell“ und „Ejakulator“ selbstlos die Halle beglücken.

Keine Ahnung, ob so ein Udo auch mal schlechte Laune hat. Sogar bei seiner fünfminütigen Ausführung zum „Oberschwein Assad“ und seinen Verbündeten in der UNO, die er tadel- und nahtlos ans Rocken anfügt, hat das Publikum am Ende ein warmes Gefühl, und will mithelfen, damit „Assad die Abrechnung bekommt, die er verdient, yeah!“ Und Nazis zum Mond schicken, yeah, das macht er gleich am Anfang in einem dieser etwas ärmlich von ihm höchstselbst gezeichneten Udo-Comics, in denen ein kleines Strichmännchen mit großem Hut vor dem Hamburger Hotel Atlantic herumwackelt und von Zeit zu Zeit auf kurvige Frauen trifft. Yeah.

Irgendwann, das fällt einem bei einer der von Hunderten Kehlen unterstützten Beziehungsende-Balladen ein, hatte man ihn aber doch an der Spaßgrenze erlebt: Als Harald Schmidt weiland kurzzeitig „Verstehen Sie Spaß?“ in eine richtig tolle Sendung verwandeln durfte, war jemand aus dem Schmidt-Team in das Hamburger Restaurant gegangen, in dem Udo saß. Hatte sich als Kneipenmusiker ausgegeben, sich neben Udos Tisch postiert und dem Panikrocker zu Ehren eine Unplugged-Version von „Sonderzug nach Pankow“ abgeliefert. Zunächst war Udo geschmeichelt. Erst als der Kneipenmusiker einfach nicht aufhörte, immer wieder „Pfuiit! Pfuiiiiiiiiiit!“ pfiff, immer wieder „Entschuldigen Sie ...“ nölte, da entgleisten Udo seine eigenwilligen Gesichtszüge. Hihi. Aber das ist lange her, Udo ist nicht mehr sauer – und heute Abend schon gar nicht. Heute lässt er sich bei „0 Rhesus Negativ“ sogar von einem echten Vampir beißen, der plötzlich aus einem Sarg geklettert kommt. In den fällt Udo dann hinein, ruht seine 66-jährigen Knochen sekundenlang aus, wird zurück auf die Bühne getragen und zappelt da wieder herum wie eine unverwüstliche Marionette aus den Achtzigern, während der Vampir an zwei Seilen über den Köpfen des Publikums zeigt, wie durchtrainiert Blutsauger heutzutage sind: Herrenspagat, nicht schlecht für einen Untoten. Es folgen weiter Hits auf Hits, „700 Stücke, was sollstn da nehmen?“ Das Mädchen aus Pankow, das das Mädchen aus Pankow in Udos Musical „Hinterm Horizont“ spielt, stiefelt in FDJ-Minirock zum Duett, der Sonderzug rattert los, die Andrea Doria versinkt, und das „Eyzen“, das es in den Achtzigern ja fast schon in den Duden geschafft hatte, ist in aller Munde. „Ey das weißt du doch, ich lieb dich immer noch“, singt er, und „Ey Leude das sind so geile Zeiten“, ruft er.

Wenn man also nicht unter einer prinzipiellen und angeborenen Rock-Aversion leidet und tolerant genug ist, Hüte mit Haarkranz als Markenzeichen zu akzeptieren, geht man an diesem Abend glücklich nach Hause. Nuschelt noch leise ein paar Udo-Zitate, „das wärmste Jäckchen ist das Cognäckchen“, lässt das Honky-Tonk-Klavier im Kopf nachklingen, setzt endlich den Hut ab und haut sich aufs Ohr, yeah, yeah, yeaaaaah.

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