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Kultur: Über den Jordan

Eyal Sivans und Michel Khleifis palästinensisch-israelischer Dokumentarfilm „Route 181“

Glücklich sei sie nicht geworden, sagt die dunkelhäutige Frau, die vor 20 Jahren aus Marokko zuwanderte. In ihrer Heimat hätten die Juden mit den arabischen Nachbarn in Frieden gelebt. Und hier? „Israel ist schön, aber ein Land ohne Lebensfreude“, sagt sie.

Die jüdische Marokkanerin wohnt im Norden Israels irgendwo an der imaginären Route 181, die die Vereinten Nationen 1947 dem jüdischen Staat als Grenze vorzeichneten und die dieser nie akzeptierte. Der israelische Filmemacher Eyal Sivan („Der Spezialist“, „Im Namen des Volkes“) und sein palästinensischer Kollege Michel Khleifi, der eine wuchs in Haifa, der andere in Nazareth auf, sind der fiktiven Linie im Süden, im Zentrum und im Norden gefolgt. Zwei Monate dauerte die Reise im Jahr 2003. 270 Minuten lang wurde der Film. Keine Episode darin ist zu viel, keine Szene wurde inszeniert, kein Kommentarsatz kam hinzu. Diese Spontaneität verleiht dem Film eine unerhörte Frische. Sivan und Khleifi haben die Realität überrumpelt und ihr viele schmerzlichen Geheimnisse entrissen. Wer hatte je von der „Besenaktion“ gehört, mit der jüdische Siedler ihre arabischen Nachbarn, Menschen, von denen sie einst gastfreundlich aufgenommen worden waren, schon vor dem Krieg von 1948 über den Jordan drängten, um ein homogenes Verteidigungsgebiet gegen die erwarteten syrischen Truppen zu gewinnen? Wer mochte sich vorstellen, dass in Israel der gefährlichste Stacheldraht der Welt hergestellt wird, zur Umzäunung der palästinensischen Gebiete (oder der eigenen, wie man will)?

Einmal kreuzen die Filmemacher auch die neue Mauer. Der Frieden im Nahen Osten wird eine Fata Morgana bleiben, solange die eine Seite alle Rechte für sich beansprucht, vor allem die auf das Land. „So etwas wie eine Apartheid“ wünschen sich viele Israelis. Man sieht sie zu diesen Worten lächeln und erschrickt über die böse Unschuld in den Gesichtern. „Route 181“ wurde eine Generalabrechnung mit dem Hochmut Israels. Der Film ergreift nicht mit Worten Partei, sondern zeigt die Unterlegenen, denen die Herrschenden den Zugang zur Arbeit versperren und die man täglich erniedrigt.

Sivan und Khleifi stand bei dem Projekt die versöhnende Wirkung der südafrikanischen Wahrheitskommission vor Augen, sagten sie unlängst in der Berliner Akademie der Künste. Aber in Israel-Palästina sind die Bevölkerungsgruppen einander feindlicher denn je gesonnen. Argwohn traf auch die Filmemacher. „Sie haben eine andere Weltanschauung“, hört ein Siedler aus den Fragen heraus, und die Besitzerin eines Schnellrestaurants, dessen Wände Poster mit Kampfjets zieren, meint lächelnd, eine Medienzensur wäre doch gut. Doch leben Sivan in Paris und Khleifi in Brüssel, und sie fanden dort und in Deutschland und Großbritannien Geldgeber. Zum Glück, sonst wären wir um einen großen Dokumentarfilm ärmer.

Eiszeit (OmU)

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