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Kultur: Überschüsse in der Ich-AG

Die aktuelle Diskussion um Künstlerhonorare für Ausstellungen übersieht die Komplexität von Marktstrukturen

Von Peter Herbstreuth

Der Kunstbetrieb ist unbarmherzig. Wer im Alter von vierzig Jahren noch kein Renommee als Künstler habe, so die Galeristensicht, der ist aus dem Rennen. Und wer ohne Galerie auskommen müsse, der hat keine Basis auf dem Markt. Ab Vierzig gibt es kaum Stipendien und Preise – oder nur noch für verdiente Größen. Wenn nun aber Künstler für Ausstellungen in öffentlichen Institutionen entlohnt würden, so eine verbreitete These, wäre auch verkannten Talenten über die Runden geholfen. Seit den siebziger Jahren fordern Interessenvertreter der Künstler, wie der Bundesverband Bildender Künstler (BBK), der Deutsche Künstlerbund, die IG-Medien, die VG-Bild-Kunst und die Gedok, eine gesetzliche Verankerung von Ausstellungshonoraren. Bislang ist wenig geschehen. Doch die Forderung wird seit drei Dekaden wie eine Karteileiche mitgeschleppt und Jahr für Jahr wiederholt.

„Kunstausstellungen in öffentlichen Einrichtungen“, so steht es im jüngsten Antrag des BBK an die Bundesregierung und an den Bundestag vom Mai dieses Jahres, „werden vornehmlich zu Bildungs- und Informationszwecken veranstaltet; die Künstlerinnen und Künstler, die ihre Werke zur Verfügung stellen, sind die Einzigen, die das bisher ohne wirtschaftlichen Ertrag leisten.“ Da der Kunstbetrieb nicht nach puren Geldwerten funktioniert und die Forderung auf Vergütung weiterhin auf gut gemeinten Realitätsbeschreibungen fußt, kam sie über einen Mutter-Theresa-Effekt nie hinaus.

Die Ökonomie der Kunst ist umfassender als der reine Markt. Die Präsentation von Kunstwerken in Ausstellungen, ihre mentale und materielle Aneignung ist im Tausch gegen den Geldwert nicht abgegolten, sondern oft der Beginn einer Partnerschaft von Gaben und Gegengaben. So sieht es der Kunstwissenschaftler Boris Groys in Anlehnung an den Ethnologen Marcel Mauss. Kunst – im Gegensatz zu anderen Gütern – befördert den symbolischen Gabentausch. Es werden nicht nur Kunstwerke ausgetauscht, nicht nur Ideen, Bedeutungen und Bekenntnisse, sondern auch Höflichkeiten, Tänze und Feste, bei denen der Handel nur ein Moment und der Umlauf der Geldwerte nur eine Seite ist. Werte wie Freundschaft, Ehre, Geltung und Ruhm bringen die Beschenkten oder Anerkannten in eine gesellschaftliche Lage, die zu Gegenleistungen herausfordert. Aus solchen Effekten symbolischen Tauschs macht sich der Einzelne Zug um Zug einen n. Und es sind die Namen vor allem, die in der Kunst die Werke beglaubigen.

Sehnsucht und Verschwendung

Als der Künstlerin Tracey Emin ihre Katze entlief, hängte sie Suchmeldungen in die Umgebung ihrer Straße. Die Zettel wurden von Kundigen abgenommen und wenig später mit dem Werktitel „Run-away-cat“ über das Internet verkauft. Pech für die Künstlerin. Wenn Kunst und Leben wie bei Emin in eins fallen, kann es zu Verwechslungen kommen. Die Katze blieb verschwunden. Die Nachbarn interessierte nicht die Realität, sondern die künstlerische Handschrift, die die Realität veranschaulicht. Das Medium war die verkannte Botschaft mit echtem Anspruch: Dokument reiner Sehnsucht und Verschwendung. Kurz: ein ästhetisch schöner Doppelverlust, für die sonst gut bezahlte Künstlerin von Werken gleichen Typs.

Der BBK beschreibt den Kunstbetrieb unter der Bedingung, dass geleistete Arbeit ebenso umgehend bezahlt wird, wie dies bei Beamten, Arbeitern und Angestellten der Fall ist. Bei selbstständigen Kleinunternehmern wie freien Künstlern kann davon nicht ausgegangen werden. Bei ihnen ist die Arbeit ein Angebot für einen sich unendlich verzweigenden Tausch und eine Investition, die sich auszahlt oder nicht. Deshalb achten die Umsichtigen darauf, dass ihre Vorleistungen werbewirksam begleitet werden. Ihre Arbeit soll Sichtbarkeit bei Multiplikatoren wie Kuratoren, Galeristen, Sammlern und Kritikern erlangen, die ihrerseits eine Stelle im System des Austausches besetzen. Meistens ist die Investition Verschwendung. Doch je riskanter der Einsatz, desto größer der künftige Goldregen – man denke an den frühen Picasso, den jungen Rothko oder den frühen Polke.

Die Interessenverbände konstruieren ein Dienst- und Sorgeverhältnis zwischen Öffentlichkeit und Künstler. Deshalb bekommen sie die Ökonomie der Kunst mit ihren Unwägbarkeiten und indirekten Wegen nur aus der antiquierten Arbeiterperspektive und einer entsprechend ideologiekritischen Brille in den Blick. Dazu passt, dass sie die Stipendien und Preise, die sowohl als soziale Beihilfe wie als Eliteförderung Jahr für Jahr in Stadt und Land Hunderten von Künstlern die Weiterarbeit erleichtern, wohl aus taktischen Gründen ebenso unberücksichtigt lassen, wie die Kunst-am-Bau-Programme, die eigens zur Künstlerförderung eingeführt worden sind. Zu keiner Zeit wurden so viele Künstler so intensiv gefördert wie heute. Und es gibt keinen Künstler in Deutschland, der bis zur Retrospektive ohne Stipendien und Preise bleibt.

Die Ausstellung als Marktplatz

Letztes Jahr wurde der Direktor der Baseler Kunstmesse, Samuel Keller, gefragt, ob die „Art Basel“ durch die zusätzliche Schau „Art Unlimited“ mit den Biennalen konkurrieren wolle. Der Direktor verneinte. Man bleibe im Gepräch und arbeite zusammen. Selten wird ausgesprochen, dass Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Museen, Vereinen oder Kunsthallen auch Verkaufsausstellungen sind. Über diese Arbeitsgrundlage sprechen die Akteure nicht, solange die Trümpfe etwa gleich verteilt sind und jeder Händler, Kurator und Künstler annimmt, dass er in diesem Spiel gewinnen kann. Erst wenn eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten eines besonders Geschickten vermutet wird, der mit Hilfe öffentlicher Häuser dabei ist, alle Mitbewerber zu übertrumpfen, erst dann herrscht Unruhe. Doch das ist selten. Die Direktoren der Kunsthäuser achten auf Ausgleich. Und da sich die Forderung des BBK auf Kunstausstellungen „mit Ausnahme von Verkaufsaustellungen“ bezieht, wird sie erst am St. Nimmerleinstag durchgesetzt werden.

Denn verkauft wird überall. Aus dieser Sicht erscheint die aktuelle Documenta als Torpedo gegen das etablierte Marktsystem. Sie tendiert dazu, die Ökonomie des Austausches und des Ausgleichs erstarren zu lassen, weil sie sich gegenüber den Netzwerken des Handels und ihren Diskursen ziemlich taub stellt. Auf den Punkt bringt es Maria Eichhorns Documentabeitrag – eine Ikone dieser Starre. Die Künstlerin gründete eine Aktiengesellschaft mit einer Kapitaleinlage von 50 000 Euro, die weder in die Geldzirkulation einfließen noch zur Mehrwertschöpfung verwendet werden darf. Das Kapital existiert nur auf dem Papier, darf nicht arbeiten und ist sichtbar dem Markt entzogen in einem Glastresor.

Eichhorn räumt jedoch ein, dass im Falle eines Verkaufs als Kunstwerk der von der Galerie definierte Preis gilt. Damit wäre das Dokument der Aktion, eine AG zu gründen, die sich selbst blockiert, wieder in die Bewegungen der Ökonomie eingeführt – aber nur als Kunstwerk, nicht als AG. Dem allgemeinen Austausch entgeht nichts. Und solange dies der Fall ist, sind kurzsichtige und die Arbeit der Kunsthäuser gefährdende Anträge an den lokalen Gesetzgeber eine Verschwendung ganz eigener Art.

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