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Übersetzung: Zunge zeigen

Die Zivilgesellschaft als Übersetzungsgemeinschaft: Der Deutsche Übersetzerfonds feiert in Berlin seinen zehnten Geburtstag mit Umberto Eco.

Von Gregor Dotzauer

Ob man es wörtlich dreht oder metaphorisch wendet: Übersetzen scheint die Kunst unserer Zeit zu sein. Sie zeigt sich, wo Umberto Eco, dem Festredner zum zehnjährigen Jubiläum des Deutschen Übersetzerfonds, im Literarischen Colloquium Berlin buchstäblich ein Simultandolmetscher im Nacken sitzt, der ihm all das auf Italienisch einflüstert, was Rosemarie Tietze, die Vorsitzende der Institution, und Kulturstaatsminister Bernd Neumann an Geburtstagstoasts ausbringen. Sie zeigt sich aber genauso da, wo Jürgen Habermas religiöse Traditionen für religiös unmusikalische Agnostiker wie ihn selbst durch Übersetzung in eine allgemein verständliche Sprache retten will. Die Zivilgesellschaft als Übersetzungsgemeinschaft – das ist sein Traum vom postsäkularen Miteinander.

Niemand soll sagen, das eine hätte nichts mit dem anderen zu tun: Wo immer es um das geht, was man den tieferen Sinn einer Sache nennt, sind Übersetzer gefragt. Tietze, eine der angesehensten Übersetzerinnen aus dem Russischen, mag erklären, sie wolle als Lobbyistin ihres Berufsstandes ausdrücklich nicht pro domo reden, wie das auf gut Deutsch heißt, kommt dann in Aneignung eines russischen Sprichworts aber doch nicht umhin einzuräumen, dass jede Schnepfe eben ihren eigenen Sumpf preise.

Aber was heißt hier Sumpf? Man kann, wenn man das Übersetzen als Handwerk betrachtet, mit Recht behaupten, dass es keinen goldenen Boden habe, ja überhaupt eine bodenlose Angelegenheit sei, in der man ökonomisch wie geistig schnell zu versinken droht. Der literarische Reichtum dessen, was der Übersetzerfonds Jahr um Jahr unter tätiger Stipendienhilfe an fremdsprachigen Schätzen aus diesem Sumpf ins Deutsche heben lässt, müsste einen jedoch eher von einem botanischen Garten schwärmen lassen, in dem man nur die edelsten Gewächse und die kundigsten Gärtner trifft.

Zumindest unter kulturellen Gesichtspunkten kann der Übersetzerfonds deshalb auf eine „ja, doch: Erfolgsgeschichte“ zurückblicken, wie es in einer zum Jubiläum erschienenen Broschüre heißt (www.uebersetzerfonds.de). In den zehn Jahren seines Bestehens (und den neun öffentlicher Finanzierung) hat sich der Etat unter der Geschäftsführung von Jürgen Jacob Becker fast vervierfacht – auf heute rund 440 000 Euro. Die Kulturstiftung des Bundes und die Kulturstiftung der Länder steuern dazu den Löwenanteil bei und haben damit 535 Stipendien zur Übersetzung aus 33 Sprachen ermöglicht. Die dutzendweise preisgekrönten Ergebnisse – darunter Hinrich Schmidt-Henkels Neuübersetzung von Célines „Reise ans Ende der Nacht“ und Thomas Eichhorns Übertragung von Les Murrays Versepos „Fredy Neptune“ – sprechen für sich.

Das Geschenk, das sich der Fonds (mit einer Anschubfinanzierung des Bundes) zum Geburtstag macht, könnte schöner nicht sein. Denn mit der Einrichtung der August-Wilhelm-Schlegel-Gastprofessur für die Poetik der Übersetzung am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität wird zum ersten Mal eine Kunst als eigenes Fach gewürdigt, die sonst allenfalls als komparatistische Unterabteilung gilt. Und dass am 1. November ein mit allen anglistischen Wassern gewaschener Praktiker (und bühnenerfahrener Entertainer!) seine Antrittsvorlesung hält, macht das Ganze doppelt attraktiv. Mit Frank Günther, der als erster Deutscher den kompletten Shakespeare allein übersetzt, lässt sich wunderbar lernen, wie man das Wörtliche manchmal falsch übersetzen muss, damit es seinen richtigen Sinn behält. Oder aber, was schon zu den höheren Weihen gehört, das bewusst Falsche so richtig zu übersetzen, dass das Kauderwelsch, das Dogberry und Verges in „Viel Lärm um nichts“ sprechen, hübsch falsch bleibt.

Mit seinem kurzen Auftritt beim Festakt stahl Frank Günther dem Hauptredner Umberto Eco jedenfalls fast die Show. Was der italienische Semiotiker, die linke Hand in der Hosentasche, vortrug, besaß zwar die gewohnte Mischung aus theoretischem Scharfsinn, prägnanter Formulierung und ironischem Charme. Doch zugleich sagte er quasi nur dasselbe mit anderen Worten, was schon den zentralen Gedanken seines Buches „Quasi dasselbe mit anderen Worten“ (Hanser 2006) bildet. „Übersetzen als Verhandeln“, so der Titel von Ecos Vortrag, war daher ein Sonderfall des Sichselbstübersetzens: ein Nachdenken über Verluste und Gewinne des Festhaltens am genauen Wortsinn und des Ergreifens eines tieferen Sinnes – mit Beispielen von Homers „Odyssee“ bis zum Edward Lear’schen Limerick. Das Original ist besser, war man bei allem Amüsement zu denken versucht – und sei es in Burkhart Kroebers deutscher Übersetzung.

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