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Berkéwicz

© dpa

Ulla Berkéwicz' Buch "Überlebnis": Der Tod, ein Schauspiel

Siegfrieds Sterben: „Überlebnis“ von Ulla Berkéwicz, der Schriftstellerin und Suhrkamp-Verlegerin erscheint am Montag. Doch für Berkéwicz ging der Ärger schon deutlich vorher los. Es geht um die Frage, ob das Buch autobiografisch gelesen werden kann.

Ihr Buch „Überlebnis“ liegt zwar erst seit heute in den Buchhandlungen, doch ärgern musste sich Ulla Berkéwicz schon vorher über einen ihr unangemessen erscheinenden Umgang damit. Die Zeitschrift „Cicero“ hatte einen Vorabdruck mit der Überschrift „Überleben ohne Siegfried“ versehen, und Berkéwicz beklagte sich ihrerseits im „Spiegel“ darüber, dass man „Überlebnis“ nicht einfach autobiografisch ausdeuten könne.

Was ja ihr Recht ist – nur fragt man sich sofort auch: Wie naiv, wie wirklichkeitsfremd muss eine Schriftstellerin sein, die gleichzeitig Verlegerin ist, dass sie eine autobiografische Lesart ausgerechnet dieses Buchs für ganz und gar abwegig hält? „Überlebnis“ hat Berkéwicz in ihrem eigenen Verlag veröffentlicht, bei Suhrkamp. Berkéwicz ist zwar seit ihrer Debüterzählung „Josef stirbt“ im Jahr 1982 Suhrkamp-Autorin, lange bevor sie die Ehefrau des Verlegers wurde – aber da sie seit fünf Jahren Verlegerin ist, wäre es wohl eleganter gewesen, sie hätte das Buch anderswo veröffentlicht. „Überlebnis“ ist ein Buch, das keine Gattungsbezeichnung trägt und aus autobiografischen Bekenntnissen, erzählerischen Passagen („und hier beginnt die Erzählung“, heißt es häufig) und kursiv gedruckten, essayistischen Einsprengseln besteht.

Und es ist ein Buch, das in seinem Kern vom Sterben und Tod eines Mannes handelt, der wie der ehemalige SuhrkampVerleger und Berkéwicz-Gatte Siegfried Unseld im „unwirklichsten Sommer zweitausendzwei“ im Krankenhaus liegt und im Oktober jenes Jahres stirbt. Als Ich-Erzählerin berichtet die Frau dieses Mannes, der hier nur „der Mann“ genannt wird, wie sie sein Sterben und seinen Tod erlebt und überlebt, auch wenn vom titelgebenden Überleben nur wenig die Rede ist. Weniger als zum Beispiel auch von der Liebe, die es zumindest noch gab, „bevor das Leben und das Sterben losging“: in jungen Jahren die Techtelmechtel, später dann die große Liebe, die schließlich in Verschmelzungsfantasien auf dem Sterbebett endet.

Über allem aber steht in „Überlebnis“ der Tod, die Liebe zum Tod: „Der Tod hat es mir angetan, von meinem Anfang an“, bekennt die Erzählerin zu Beginn und schildert, wie sie als Mädchen an des Vaters Seite, eines Arztes, „in die Sterbezimmer eintanzt“, wie sie „verstorbenen Tierleuten“ ein Grab schaufelt und darüber wacht, wie sie der Großmutter, einer Jüdin, unentwegt die Frage stellt: „Was geschieht mit den Toten?“ Die Großmutter empfiehlt ihr schließlich einen jüdischen Arzt und Kabbalisten in Amsterdam, der ihr die Formel auf den Lebensweg gibt: „Totsein heißt in der Zukunft sein.“

Wie sie wurde, was sie ist: Berkéwicz liefert zunächst eine kleine, sich offensichtlich an ihrer Biografie entlangschlängelnde Entwicklungserzählung. Sprachlich ist diese hart an der Grenze des Erträglichen: mit Dreisprüngen wie „es pulste, klopfte, drängte“ oder „bis das Eis knackte, ruckte und wieder zusammenfuhr“, mit Wortneuschöpfungen wie „Sterber“ und „Lieber“ (statt „Sterbende“, „Liebende“) und mit unzähligen Komposita wie „Zeitende“, „Spielspieler“, „Igellust“, „Igelseligkeit“, „Urgroßväterbücher“ oder „Hitlerschüsse“.

In einem besseren Sinn schwer erträglich, weil mutig, gestalten sich die Kapitel mit „dem Mann“ im Krankenhaus und am Totenbett zu Hause. Berkéwicz ist hier tatsächlich radikal. Sie kennt keine Scham, keine Peinlichkeit und legt das Sterben und seine unappetitlichen Begleiterscheinungen schonungslos offen, von den Schläuchen und Apparaturen am Körper des Mannes über die Blut- und Urinbeutel bis zu den Bettpfannen. Eine Intimsphäre gibt es im Krankenhaus nicht, auf einer Intensivstation schon gar nicht, zahllose „Hilfemenschen“ wissen das genauso zu verhindern wie sterbende Mitpatienten.

Befremdlich ist jedoch, dass Berkéwicz diesen Bericht immer wieder mit Gedanken zum Theater versieht, sich das Ganze für sie darstellt „wie ein Spielkreis, eine kleine, grell erleuchtete Arena im dunklen Riesenraum vor, hinter, unter mir“: Der Tod, ein Schauspiel. Gerade er bedarf einer besonderen Inszenierung.

Im Versuch, das Sterben ihres Mannes zu literarisieren, zu dramatisieren, zu überhöhen, erinnert die gelernte, einst unter der Regie von Walter Felsenstein, Claus Peymann und Peter Zadek tätige Schauspielerin Berkéwicz eher unwillentlich an ihre realen, überaus theatralen Auftritte bei Unselds Beerdigung 2002 und einer Trauerfeier ein Jahr später in der Frankfurter Paulskirche.

Diese Art von Überhöhung, von Trauertheater schaltet sie hier einerseits kurz mit durchaus richtigen Gedanken über die Todesignoranz unserer Gesellschaft: „So wird dem Sterbenden das Recht verweigert, zu erfahren, daß er stirbt, und bis in den Tod hinein von ihm verlangt, sich zu verhalten, als ginge es um Überleben.“ Zum anderen mit kabbalistischen Überlegungen, Gedanken zum Heldentod in der antiken Tragödie, zu Zeit und Raum, zum Wechselspiel von Geburt und Tod.

Und mehr: Da schildert sie lange die jüdische Beerdigung ihres „Wunderchens“, ihres Amsterdamer Kabbalisten, der jung stirbt. Dieses Ereignis stellt für sie vermutlich das ideale Gegenmodell zur schnellen, unfeierlichen Totenentsorgung in unserer Gesellschaft dar. Da baut sie vielerorts rechtsradikales Bedrohungspotential auf, warum auch immer: ein Pfleger, der sich wie ein „Fascho“ geriert, ein grabschändender Skinhead. Oder der Vater, der „im Sommer 43, stell dir vor!“ noch Bach spielt. Und da irritiert sie mit dem Stolz auf die Toten (Felsenstein, Josef, „der Mann“ und viele mehr) in ihrer „Bühnenmitte“: „Ich habe viele. Ich bin reich.“

So wirkt „Überlebnis“ auf sein Thema konzentriert und überladen zugleich, so entwickelt dieses Buch seine ganz eigenen Anziehungs- und Abstoßungskräfte. Es ist überaus penetrant in seiner Motivführung – von dem Spalt, in den die Erzählerin seit ihrer Kindheit lugt und der dann am Ende aufreißt, über das Ticktack der Swatchuhr bis zur Unseld-Spucke, die sein Leben nach seinem Tod noch für ein paar Tage symbolisiert, später vereist und verkrustet. (Ja, was für Bilder!) Andererseits ist wieder faszinierend, wie offen Berkéwicz ist, wie sie in den Tod förmlich hineinzukriechen versucht, wie sie gesteht, kein Maß beim Trauern zu kennen, wie sie Zweifel an einer allgemeingültigen Wirklichkeit anmeldet: „Die Wirklichkeit ist eine Möglichkeit, der wir nicht trauen“, heißt es einmal. Später, am Grab „des Mannes“ dann: „Blitzlichter, Beuteblicke. Ich wußte doch, die Wahrheit, sie passiert hier nicht.“

Wahrheiten passieren nicht einfach so, aber das ist Berkéwicz ohnehin egal. Mit „Überlebnis“ liefert sie einen überzeugenden Beweis dafür, dass sie nur ihre eigene Wahrheit kennt. Und dass sie der Wirklichkeit nicht traut, diese Wirklichkeit sie gar jedes Mal wieder überrascht – sei es als Trauernde, sei es als Schriftstellerin, die sich über die Rezeption ihres Buches ärgert, sei es als Verlegerin.

Ulla Berkéwicz: Überlebnis. Suhrkamp, Frankfurt/ Main 2008, 140 S., 14.80 Euro.

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