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Kultur: Unbequeme Arena

Was geschieht mit dem Berliner Olympiagelände von 1936? Diese Frage beschäftigt Politiker, Sportler und Denkmalpfleger schon seit Jahren.

Was geschieht mit dem Berliner Olympiagelände von 1936? Diese Frage beschäftigt Politiker, Sportler und Denkmalpfleger schon seit Jahren.Jahrzehntelang wurde das Olympiastadion vernachlässigt, die Instandhaltung auf das allernötigste beschränkt.Inzwischen hat der Bund als Eigentümer des Stadions in Aussicht gestellt, sich mit 100 Millionen Mark an den Sanierungskosten zu beteiligen.Eine Summe, die angesichts eines geschätzten Finanzbedarfs von weit mehr als 500 Millionen Mark für Sanierung und Modernisierung des Baudenkmals einen Tropfen auf den heißen Stein darstellt.

Berlins Bausenator Jürgen Kleemann hat derweil unter 57 Architektur- und Ingenieurbüros zehn ausgewählt, die bis zum 14.Oktober ihre Vorstellungen zu Sanierung und Modernisierung des maroden Denkmals formulieren sollen.Unter den beauftragten Büros sind dem Vernehmen nach die Architekten Kleihues und Kleihues, Gerkan, Marg und Partner aber auch das Stuttgarter Planungsbüro Deyle und Bung, das bereits 1997 eine Konzeptstudie zu Sanierung und Modernisierung des Stadions erstellt hatte.Gemäß dem Senatsbeschluß vom Mai 1998 soll das Baudenkmal auch zukünftig als multifunktionales Stadion für Leichtathletik, Fußball und Unterhaltung erhalten bleiben.Die Herrichtung für die Fußball WM 2006 gilt dabei als Nahziel.Die dann nur noch gut 60 000 Zuschauer fassende Arena soll, mit überdachten Tribünen und einzelnen Schalensitzen ausgestattet, den Maximalanforderungen des Weltfußballverbandes FIFA für Länderspiele entsprechen.Zugleich aber sind die beauftragen Büros angehalten, die historische Substanz des Stadions weitestgehend zu erhalten.Die Quadratur des Kreises erscheint dagegen als ein Kinderspiel.

Da man beim Olympiagelände nicht zu spät in die Diskussion eingreifen wolle, luden jetzt der Deutsche Werkbund Berlin und zahlreiche Architektenverbände zu einer Podiumsdiskussion in die Berliner Akademie der Künste ein.So hochkarätig die Liste der Veranstalter, so hochkarätig war auch das Podium besetzt, auf dem sowohl Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, oberster Dienstherr der Denkmalpflege, als auch Bausenator Jürgen Kleemann neben Vertretern aus Sport und Denkmalpflege Platz nahmen.Hochgesteckt waren schließlich auch die Ziele der Veranstaltung, sollten doch "Wege zu einem produktiven Umgang mit dem Ort" Olympiagelände aufgezeigt werden, ein Anspruch, den die Diskussion allerdings kaum einzulösen vermochte.

Engagiert und pointiert betonte Wolfgang Schäche in seinem Eingangsreferat die kulturhistorische Bedeutung von Stadion und Reichssportfeld, die gemeinsam ein einzigartiges Geschichtsdenkmal darstellen.Als herausragendes architektonisches Zeugnis der NS-Diktatur und Meilenstein der Sportgeschichte gelte es, das Areal vor dem Schicksal anderer Berliner Baudenkmäler aus der Zeit des Nationalsozialismuszu bewahren.So bekommt der Lustgarten derzeit ein Gewand im Stile Schinkels angelegt während die Spanische Botschaft bis auf die Fassade entkernt wird.

Die Diskussionsteilnehmer vermochte er damit allerdings nicht zu beeindrucken.Denkmalpflegerische Gutachten und Stellungnahmen sind im politischen Entscheidungsprozeß - vor allem in Berlin - allzu oft nicht mehr als kosmetisches Beiwerk.Anders ist es nicht zu erklären, daß das seit 1966 denkmalgeschützte Olympiagelände, immerhin Berlins größtes Flächendenkmal, durch alle derzeit diskutierten Planungsvarianten massiv in seinem Bestand bedroht wird.

Nachdem die Pläne für Olympia 2000 kläglich zerstoben sind, träumt Sport-Berlin jetzt von der Fußballweltmeisterschaft 2006.Sollte man auch die nicht nach Deutschland holen, dann richten sich die Blicke auf die Zukunft des augenblicklich auf einer Woge des Erfolges schwimmenden Bundesligaclubs Hertha BSC im UEFA-Cup - der kommerzielle Weg des Olympiastadions ist deutlich vorgezeichnet.Bausenator Kleemann gab auch schon einmal einen Vorgeschmack darauf, was dem Baudenkmal bevorstehen könnte.So sei ein Absenken von Tribünen und Fußballfeld durchaus denkbar.Mit wenigen Handgriffen ließe sich der Hexenkessel des Fußballstadions in ein für Leichtathletikveranstaltungen taugliches multifunktionales Stadion verwandeln.

Strieder favorisierte dagegen einmal mehr seine vom Senat längst zurückgewiesene Variante eines privat finanzierten Fußballstadions auf dem Gelände von Hockeystadion und angrenzendem Schenckendorffplatz, für das Jürgen Sawade ein Entwurf geliefert hat.Das Olympiastadion selber soll substanzschonend instandgesetzt werden, um zukünftig für Großveranstaltungen vom Rock-Konzert bis zum Papstbesuch zu dienen.Doch auch diese - vorgeblich denkmalverträglichere - Variante brächte massive Eingriffe in das Denkmal Reichssportfeld mit sich.

Annähernd ein Drittel des Geländes neben den Bauten des Deutschen Sportforums würde der neuen Nutzung zum Opfer fallen.Hinzu kommt die Angst vor dem Deutschlandhallen-Effekt beim Olympiastadion.Berlins alte Mehrzweckhalle dämmert bekanntlich nach der Eröffnung von Velodrom und Max-Schmeling-Halle ihrem Abriß entgegen.

In den Zeiten leerer öffentlicher Kassen droht an die Stelle der gesellschaftspolitischen Verantwortung für das bis heute am vollständigsten erhaltene Zeugnis der NS-Architektur dessen Vermarktung zu treten.Dabei sind es nicht mehr nur die Hertha- und ISTAF-Fans, die sich für das Stadion interessieren.Längst ist das Olympiagelände ein wichtiges Geschichtszeugnis für Berliner und ihre Besucher, die bei Führungen einen Einblick in die Geschichte des NS-Systems und seiner Architektur bekommen.Welches Potential das historisch unbequeme Areal auch für Kulturveranstaltungen birgt, wird vom 30.September bis zum 4.Oktober das Maxim-Gorki-Theater demonstrieren.Dann wird im ehemaligen britischen Hauptquartier im Deutschen Sportforum mit Patrick Barlows Stück "Love upon the throne" dem Berliner Publikum die "Wahre Geschichte von Charles und Diana" präsentiert.

JÜRGEN TIETZ

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