zum Hauptinhalt

Kultur: Und jetzt alle

„Sound of Heimat“: Ein Roadmovie erkundet die etwas andere Art, Volkslieder zu singen.

Wenn die Bandoneonspieler aus dem Erzgebirge den Namen dieses Neuseeländers aussprechen, klingt es wie Haydn. Hayden Chisholm, Jazzmusiker, Saxofonist, selbst ernannter Volksliedforscher, reist durch Deutschland und will es wissen: Wer singt hier eigentlich noch? Und wo und was? Sind Volkslieder durchweg verpönt, vergessen, verdorben vom propagandistischen Musikeinsatz der Nazis?

Hayden nähert sich aus der schwärmerischen Perspektive. Neugierig, unerschrocken, manchmal zu unbedarft macht er sich in „Sound of Heimat“ auf, das Singen der Deutschen zu lernen, begleitet von den Filmemachern Arne Birkenstock und Jan Tengeler. Die Stationen dieses „Roadmovies zur deutschen Volxmusik“: Die Kneipe „Weißer Holunder“ in Köln, der heimlichen Hauptstadt des Volkslieds, in der jeden Sonntag kölsche Lieder gesungen werden; Wanderjodler im Allgäu; die Bamberger Jungs vom Antistadl, die alte Endlosdreher mit Rap und Balkanpop aufmischen; die Wellküren und ihre Brüder von Biermösl Blosn; der Leipziger Gewandhauschor; die Bandoneonbauer im Vogtland, eine Experimentalmusikerin, ein KZ-Überlebender, die Veteranen von Liederjan auf Segeltörn vor Flensburg.

Tümelei und falsche Gemütlichkeit kommen schon deshalb nicht auf, weil Hayden mit leiser Selbstironie auf seine Gesprächspartner zugeht, mitjodelt, mittanzt, mitimprovisiert (was auch dem Zuschauer vergönnt ist, wenn der Leipziger Chordirigent sich zur Kamera dreht und das Kinopublikum zu „Wenn alle Brünnlein fließen“ animiert). Selbst Kitsch und Folklore gewinnt er einen wahren Kern ab, und wenn 100 chinesische Kinder fortissimo „Hänschen klein“ tröten, ist ihm nichts Menschliches fremd.

Das romantische Lied, das patriotische, verbotene, revolutionäre, historisch belastete Lied: Zwar gibt „Sound of Heimat“ auf die Frage nach der Liederscheu der Deutschen reichlich bekannte Antworten, auch bemühen die den Film rhythmisierenden Bilder von deutschen Wiesen und Wäldern allzu naheliegende Assoziationen.

Aber die Natur- und Stadtgeräusche auf der hellhörigen Tonspur entschädigen dafür, ebenso mancher Volksliedsänger. Der Kölsche Kneipensänger erläutert, dass auch der Gesang Gastfreundschaft kennt und die Noten es gerne in Kauf nehmen, wenn melodieunsichere Laien die eine oder andere Gastnote ins Lied einbringen. Oder Rudi Vodel aus dem Erzgebirge: „Tschia tschia tschia tschia tscho/Käse gibt es im HO/lange Schlange musste stehn, aber Käse kriegste keen“, singt er – und sagt, dass die Stasi auch keine Lieder mit Gott und Königen mochte, so war das im Sozialismus. Oder der KZ-Überlebende Wladislaw Kozdon: Wenn in Buchenwald ein Häftling auf der Flucht erwischt wurde, mussten die anderen „Alle Vögel sind schon da“ singen.

Solcher Musikmissbrauch war den politischen Liedermachern der siebziger und achtziger Jahre bewusst – weshalb sie den Regionalpatriotismus reaktivierten. Gladbach statt Köln, Veedel statt Gladbach. Oder norddeutsch gesagt: „Dass Ecki Friese ist und ich Dithmarscher bin“, so Rainer Prüß von Liederjan, „hat mit den Nazis nichts zu tun.“ Geschichte, lehrt dieser Film, ist auch das, was man draus macht. Christiane Peitz

Delphi, FT Friedrichshain, Kant

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false