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Kultur: Und jetzt die Konferenz zum Krieg

"Es gibt wenig Hoffnung, solange die Gräber der Großväter und Großmütter wichtiger sind als die heute Lebenden." Dieser Satz des ungarischen Schriftstellers István Eörsi umschließt die bedrückende Aussichtlosigkeit, die auf allen Gesprächen mit Intellektuellen aus der Kriegsregion im Balkan lastet.

"Es gibt wenig Hoffnung, solange die Gräber der Großväter und Großmütter wichtiger sind als die heute Lebenden." Dieser Satz des ungarischen Schriftstellers István Eörsi umschließt die bedrückende Aussichtlosigkeit, die auf allen Gesprächen mit Intellektuellen aus der Kriegsregion im Balkan lastet. Das Haus der Kulturen der Welt (HKW) hatte sie zu einer zweitägigen Kosovo-Konferenz nach Berlin geladen, und das Programm proklamierte optimistisch einen "intensiven Austausch", der "geschlossene Grenzen und Systeme" überwinde. Dazu freilich waren die Runden auf den dicht besetzten Podien keineswegs angetan. Die Äußerungen verdeutlichten vor allem , wie tief Mißtrauen und Ressentiments auch bei Intellektuellen verwurzelt sind.Zigeuner, die sich vermehren wie Ratten, die Tiere und Melonen vergewaltigen; Kosovaren, die nachts im Zoo weiße Schwäne vergewaltigen; Prostitutionsanwürfe wegen der Bekanntschaft mit einem rothaarigen Deutschen, der als "Jude und Goldjunge" tituliert wird: Herta Müller, 1987 von Rumänien in die Bundesrepublik ausgereist, zitiert dies aus dem Arsenal umlaufender rassistischer Schauergeschichten. Solche vormodernen Xenophobien und die zugehörige Gewaltmentalität interpretiert sie als Relikt kommunistischer Diktaturen. Deren Eliten hätten, ihre eigene Ungebildetheit verallgemeinernd, jene dörflich-prüden Lebensvorstellungen bestärkt, die jetzt den aufwallenden mythologischen Nationalismus in Osteuropa unterfüttern - und in der Krise "vom Denken ins Handeln springen".Wenn auch die Diskutanten selbst nicht in Mythen und Vorurteilen befangen sind: Die Kluft zwischen ihnen scheint unüberwindlich. Die serbische Opposition habe bislang zum Massenmord im Kosovo geschwiegen, klagt Herta Müller an; solange die Gesellschaft dort nicht darüber spreche, werde es keinen Frieden geben. Drinka Gojkovi¿c, die zum regimekritischen "Belgrader Kreis" und zur Gruppe "Leben in Sarajevo" gehört, setzt sich für eine "Aufklärung über die Tatsachen" ein, mag sich aber nicht bei den Kosovaren "entschuldigen", weil ihr das dazu nötige "Minimum an Identifikation mit der Regierung" fehle. Ihren Hinweis auf unbekannte serbische Dissidenten beantwortete der in Paris lebende Albaner Ismail Kadaré mit einem finalen Kehraus: die "herrschende Dissidenz ist eine Gefahr für Europa". Und: Der Vorsitzende der Demokratischen Partei Serbiens, Zoran Djindji¿c, gehöre zu "Milosovics Reserve der Pseudo-Dissidenten". Wozu also noch miteinander reden?Der zweite Konferenz-Tag galt "politischen" Themen, Fragen nach "Perspektiven für den Balkan", galt der "Legitimität der Nato-Intervention", den "Wegen zu einer neuen weltbürgerlichen Weltordnung". Die Taktzahl der Statements wurde noch einmal erhöht, um so bekannter klangen die Positionen: erklärte Nato-Befürworter wie Peter Schneider, André Glucksmann, Hans Joas, Hans Christoph Buch, Richard Herzinger und Michael Ignatieff auf der einen, Nato-Kritiker wie György Konrád, Dieter S. Lutz und Andreas Zumach auf der anderen Seite. Interessant wurde es, wo man nicht nur nachkartete, wo angesichts des Waffenstillstands Bewegung in eingespielte Argumentationen kam. So wenn Schneider, seine Haltung verschärfend, die Nato kritisiert: Ihre Intervention sei zu spät und, verzichtend auf Bodentruppen, mit falschen Mitteln erfolgt. Je länger die Bombardements dauerte und serbische Zivilisten geopfert worden seien, um eigenes Leben zu schonen, desto mehr habe sie ihre Legitimation als Verteidigerin der Menschenrechte verloren.Dieter S. Lutz vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik zitierte eine irritierende Lagebeurteilung des Bosnien-Stabes des Auswärtigen Amts vom 19. März, die Bombardements als ultima ratio in Frage stellt. Sie ging an den Außenminister, den Verteidigungsminister und den Bundeskanzler und handelte vom Vorgehen der Serben, nachdem die UCK trotz des Hoolbroke-Abkommens 40 Prozent des Kosovo besetzt hat. Ihr Ergebnis: Der Waffenstillstand wird nicht eingehalten, die Serben beschießen Dörfer, aber erst nach vorheriger Warnung der Zivilbevölkerung. In einigen Fällen verhindere die UCK die Evakuierung. Nach ihren Aktionen zögen die Serben wieder ab. Es gebe keine Versorgungskatastrophe. "Was also rechtfertigte dieser Befund?" fragt Lutz.Wie sieht die Perspektive des Kosovo und anderer Regionen Ex-Jugoslawiens aus? Wahrscheinlich setze sich - so der Pariser Politologe Jacques Rupnik - eine Logik der Protektorate durch. Sie habe den paradoxen Effekt, daß Balkan-Staaten, die beim Wettlauf in die EU eigentlich schon abgeschlagen seien, nun ihre Integration durch Krieg und Konflikt erreichen könnten.Für den Historiker Michael Ignatieff hingegen kommt der Protektorat-Status einer "politischen Infantilisierung"gleich. Die stehe im krassen Widerspruch zur "humanitären Intervention", die ja das demokratische Selbstbestimmungsrecht verteidigen soll. Überhaupt: Solange es keine europäische Integrationspolitik gebe, solange jene Menschen, für deren Rechte im Kosovo gekämpft wurde, durch das Schengener Abkommen ausgegrenzt seien, könne es keinen Frieden geben. Westlichen Paternalismus nimmt auch Slavoj Zizic, der Psychoanalytiker aus Ljubjana, aufs Korn: jenen ideologisierten Mitleidsdiskurs einer Victimisierung, die schnell ins Gegenteil umschlägt, wenn das Opfer nicht mehr als Opfer agiert. Denn sobald der Kosovar zur Waffe greife, werde er "als fundamentalistischer Drogenhändler verteufelt".Dominiert wurde die Konferenz, trotz mancher skeptischer Stimme, durch Vertreter des humanitären Interventionsmus. Exemplarisch André Glucksmann: "Das Völkerrecht ist angesichts der Barbarei des 20. Jahrhunderts ohnehin obsolet." Es sei erinnert, wer hier diskutieren läßt: das Haus der Kulturen der Welt, die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und Staatsminister Michael Naumann. Seine Projektmittel empfängt das Haus der Kulturen der Welt nun mal vom Auswärtigen Amt. Bei soviel rot-grüner Verbundenheit wundert es nicht, daß die Zusammenarbeit rund lief, wie alle Beteiligten wechselseitig versicherten. Die Regierungslinie setzte Akzente: So in Naumanns Apologie einer Außenpolitik, die Prinzipien einer universellen Ethik beansprucht und sich zugleich am realpolitisch Möglichen bescheidet; in Bernd Scherers (HKW) Eröffnungs-Wort vom "offensichtlichen Erfolg auf dem Kriegsschauplatz", worin Schröders "Wir müssen in der Innenpolitik so erfolgreich werden wie in der Außenpolitik" nachhallte. Oder in der Aufführung Freimut Duves, der als Diskussionsleiter die zentrale Legitimation beschwor: Die Pflicht zur humanitären Intervention, "damit wir nicht ein zweites Mal schuldig werden". Jenes Haus der Kulturen der Welt, das in zehn Jahren seinen guten Ruf als Protagonist von Multi-Kulti und Experimentierfreude erworben hat, war an diesem Wochenende ganz die Kongreßhalle der Krawatten, der Verantwortungsethik und Manuskriptgewichtigkeit. Die interkulturelle Party ist vorbei, das bunte Raumschiff global village strandet hart auf dem Boden der Realpolitik.

GERWIN KLINGER

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