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Die Geschichte: Und Willy ging zum Regenbogen

Er gab der BRD ein grafisches Gesicht: Er hat die farbige Suhrkamp-Reihe erfunden, 1959 „twen“ und später das „FAZ-Magazin“. Über den radikalen Artdirector Willy Fleckhaus

Ratsch! Thomas Schröder schneidet sich den Kopf ab. Nicht den ganzen, nur den oberen Teil. Mit den Händen fährt er sich beim Gespräch im Café Einstein an den Wangen lang, noch mal: ratsch! Weg mit allem, was überflüssig ist.

So demonstriert der einstige Chefredakteur des „FAZ-Magazins“, der auch ein kurzes Intermezzo als Feuilletonredakteur bei „twen“ gab, wie Willy Fleckhaus als Artdirector mit Bildern umging: radikal. Wenn die Fotografen diese nicht selber richtig beschnitten, tat er es eben. Und breitete eine solche einzelne Nahaufnahme dann auf zwei Seiten aus. Das Gesicht sollte den Betrachter anspringen. Willy Fleckhaus wollte sein Publikum packen, ergreifen. Erst gucken, dann denken, hieß seine Devise. (Aber denken, das sollte es dann schon.) Er liebte das Dramatische. Und er konnte etwas so Abstraktes wie drei Buchstaben so dramatisieren, dass daraus großes Theater wurde.

So etwas hatte es noch nicht gegeben.

Fleckhaus gilt als Deutschlands erster Artdirector. Außer seinem Antipoden Otl Aicher gibt es wohl keinen, der das grafische Gesicht der Bundesrepublik so geprägt hat. Mit seinen Umschlägen, vorzugsweise in Serie, hat er die sogenannte Suhrkamp-Kultur mitgeschaffen, er hat sich das Logo der „Quick“ ebenso ausgedacht wie das des WDR und von „Ein Herz für Kinder“. Er war der Artdirector von „twen“ und vom 1980 gegründeten „FAZ-Magazin“, hat 20 Jahre lang Ausstellungen und Kataloge der Kölner photokina, der Fotomesse, gestaltet. Ja, er gilt sogar als Begründer, mindestens Wegbereiter der Toskanafraktion.

Nachdem er gelesen hatte, dass in der Toskana immer mehr Bauernhäuser leer standen, gab er eine große Fotoreportage der malerisch verfallenen, spottbilligen Landhäuser in Auftrag. Das Ergebnis der „twen“-Geschichte: „die erste Besiedelung der Toskana durch Deutsche“, wie Fleckhaus’ Witwe Ulla es beim Gespräch am Telefon nennt. Natürlich haben auch sie sich dort angesiedelt. Jeden Sommer, auch dieses Jahr, verbringt sie dort.

Ursprünglich hatte die Familie ein Landhaus in der Provence, aber die Franzosen waren ihm damals zu deutschenfeindlich, so Ulla Fleckhaus. Und der Bau eines Supermarktes störte das Paradies. Schon als Kriegsgefangener hatte sich der 1925 in Velbert geborene Katholik in Italien verliebt – in die Landschaft, das Licht, die Unbeschwertheit.

1959, das war sein Schicksalsjahr. Es war das Jahr, in dem Peter Suhrkamp starb, Siegfried Unseld den Verlag übernahm, Fleckhaus begegnete und ihm die Gestaltung der Insel- und Suhrkamp-Taschenbücher, der Bibliothek Suhrkamp und, sein größter Coup, der edition suhrkamp übertrug, die 1963 auf den Markt kam. Auch wer Adorno, Marcuse, Horkheimer im Leben nicht las, stellte sich die Reihe in den 48 Farben des Sonnenspektrums von blauviolett bis blauviolett ins Regal, „ein endloses Band, das sich wieder schließt“. Die Idee kam ihm fast nebenbei, im Gespräch. Fleckhaus hatte sein Ziel erreicht: Er wollte aus Büchern kein Kunstwerk machen, er wollte, dass sie gekauft wurden. Und das schaffte er nun, indem er genauso radikal wie mit den Fotos allein mit Farben, Raum und Schrift arbeitete.

Fleckhaus hatte, wie seine Weggefährten berichten, den absoluten Blick, so wie andere das absolute Gehör haben. Ob er Bilder aussuchte und beschnitt, Buchstaben zusammenschob, einen Bindestrich oder auch eine Vase verrückte. Er war Ästhet durch und durch – zu sehr, wie seine Kritiker monierten.

1959, das war auch das Jahr, in dem Fleckhaus zusammen mit Adolf Theobald, der später „Capital“ gründete, „twen“ auf den Markt brachte. „twen“, das Wort gibt es im Englischen so wenig, wie es in der – wie fiele fanden: miefigen – Adenauerzeit eine solche Zeitschrift gab. „Mit ,twen’“, so schreibt Michael Koetzle in seinem Buch über die Zeitschrift, „erschien ein Blatt neuen Typs, frisch, frech, fröhlich, sinnlich, von bestechender Optik, kompromisslos modern gestaltet, provozierend in den Themen, vergnüglich im Ton, optimistisch und voller Lust auf Leben.“

Fleckhaus war ein Geschichtenerzähler. Vielleicht, sagt Ulla Fleckhaus, die ihren Mann Anfang der 40er Jahre in der katholischen Jugend kennenlernte, vielleicht habe sie ihn deswegen geheiratet: weil er so witzig, lebendig, überzeugend reden konnte. Bei Partys scharte er schnell die Zuhörer um sich.

Auch als Artdirector wollte er Geschichten erzählen. Das Einzelbild, womöglich eins mit Kunstanspruch, fand er langweilig. „Blätterkino“, so nennt Thomas Schröder das, was Fleckhaus auch später beim „FAZ-Magazin“ machte: „eine dramaturgische Bewegung, die sich durchs Blatt zog, ein Wechsel der Perspektiven, von Nähe und Distanz“. „Seine Welt“, hat Heinz Edelmann einmal gesagt, der als Illustrator für „twen“ arbeitete und mit Fleckhaus zusammen das Bild des WDR gestaltete, „seine Welt begann ab 64 Seiten.“

Bei Fleckhaus mussten Fotos sich nicht mehr dem Text unterordnen, ihn illustrieren, sie sprachen ihre eigene Sprache. Was nicht heißt, dass der Text gar keine Rolle spielte. Fleckhaus war auch ein Mann des Wortes. Seine Laufbahn hatte er nach dem Krieg als Journalist begonnen (war aber wohl kein allzu begabter Schreiber), bei der katholischen Jugendzeitschrift „Der Fährmann“; später wechselte er zur Jugendzeitschrift „Aufwärts“, bis 1958 arbeitete er für den gewerkschaftseigenen Bund Verlag. Er war umfassend gebildet, las gern und viel. Was? „Alles, alles, alles“, so Ulla Fleckhaus, selbstverständlich auch die Bücher der Autoren, für die er bei Suhrkamp die Schutzumschläge machte, Walser, Handke, Frisch & Co. Jeden Montagabend zog er sich nach dem Essen mit dem „Spiegel“ zurück und ward nicht mehr gesehen, „das war für ihn absolute Entspannung“.

Fleckhaus begriff sich nicht als Gestalter, der layoutete, was andere ihm in die Hand drückten, sondern als Blattmacher, als Chefredakteur – ein Posten, den er bei „twen“ einmal interimsweise auch offiziell übernahm. Er bestimmte die Themen mit, Jazzmusik, „Die Kunst, keinen BH zu tragen“, Sex, Porträts von Uschi Obermeier und Philip Roth ...

Und er war ein großer Anreger. Vor allem für Will McBride, den in Deutschland lebenden Amerikaner, den Fleckhaus 1959 kennenlernte. McBride wurde für „twen“ der wichtigste Fotograf.

„Ohne Herrn Fleckhaus wäre ich gar nichts geworden“, sagt Will McBride, der nach der Wende nach Berlin zurückkehrte, in seinem Atelier in Mitte. Immer wieder schickte der Artdirector ihn mit der Idee für eine Geschichte los, deren Umsetzung er aber dem Fotografen überließ. So bat er diesen, die Geburt seines Sohnes Shawn festzuhalten. Als erstes Bild der Serie porträtierte McBride seine Frau Barbara hochschwanger in offener Jeans – Jahrzehnte bevor Demi Moore und Claudia Schiffer sich mit dickem Bauch auf Zeitschriftencovern abbilden ließen. Für McBride war das Porträt ein Bild für den Abschied von der Jugend: dass Barbara (die später Wolfram Siebeck heiratete) nicht mehr in ihre Jeans passte. Für die katholische Kirche war es ein Skandal, eine Gefährdung der Jugend. Und für Fleckhaus, den gläubigen Katholiken, war es keine Frage, dass er hinter diesen wie anderen provozierenden Fotos stand. „Er war weiter als die katholische Kirche“, glaubt McBride.

Einmal schickte Fleckhaus McBride auch los, sich junge Leute zu schnappen und „ziellos herumzuwandern“. Der Fotograf sprach ein Paar auf der Straße an, kaufte Brot und Wein und dann vergnügten sie sich ein paar Tage in Wald und Wiese, einige der Bilder wurden zu Ikonen. Ein andermal kam der Artdirector aus New York zurück und erzählte begeistert, dass dort alle „Siddharta“ läsen. Also flog McBride für sechs Wochen nach Indien, die teuerste Reportage in der Historie des Blattes. Fleckhaus hätte Hesses Bestseller am liebsten verfilmt.

Und er war es, der Siebeck dazu brachte, sein allererstes Rezept zu schreiben, seine erste Restaurantkritik. Fleckhaus, der Genießer und Liebhaber guten Rotweins, setzte das Vitello Tonnato genauso großzügig in Szene wie Angela Davis oder „Supermann in Unterhosen“.

Trotz des legendären Rufs, den „twen“ aufgrund seiner Gestaltung bis heute besitzt – große Gewinne hat die vielfach preisgekrönte Zeitschrift nicht gemacht. Die Auflage des in der Produktion und auch im Verkauf teuren Hefts ging selten über 100 000 hinaus, mehrmals wurde das Magazin verkauft, bis es 1971 endgültig eingestellt wurde. Aber da war der Artdirector schon nicht mehr dabei. 1970 musste er gehen. „Das war hart“, sagt Ulla Fleckhaus. „,twen’ war sein Lebenswerk.“ Die Revolution hatte ihn gefressen. Den 68ern, die jetzt das Blatt machten, war er zu hedonistisch, zu ästhetisch, zu unpolitisch, zu konservativ.

Fleckhaus, von der Nazi-kritischen Katholischen Jugend geprägt, gehörte zur lost generation. Durch seine Mitarbeit an diversen Jugendzeitschriften, so heißt es, holte er sich zurück, was Hitler ihm genommen hatte: die Jugend. Ironischerweise sieht er, mit Halbglatze und Vollbart, auf Fotos immer alt aus. So hat ihn auch Thomas Schröder erlebt: „Er kam mir nie jung vor.“

So radikal modern er als Gestalter war, war Fleckhaus zugleich ein Mann seiner Generation mit traditionellem Rollenverständnis. Er war derjenige, der das Geld nach Hause brachte. Auch wenn er zu diesem kein Verhältnis hatte, wie seine Frau Ulla erzählt, oft nicht wusste, was er verdiente, es aber gern ausgab. Immer wieder haben sie Krach bekommen, weil es ihn in die, wie sie fand, viel zu teuren Sternerestaurants zog. Den Haushalt, das Kochen, die Erziehung der drei Kinder überließ er seiner Frau. Vor allem mit den Söhnen gab es ab einem gewissen Zeitpunkt jeden Abend am Tisch Streit. Während Siebeck ihn als gelassenen Buddha erlebte, beschreibt Ulla Fleckhaus ihren Mann als durchaus jähzornig. Fleckhaus wollte nicht diskutieren, er wollte bestimmen. Daher kam es auch mit „Siegfried dem Großen“, wie Unseld genannt wurde, mit dem er eng befreundet war, immer wieder zum Krach. Dieser Umschlag oder keiner, war Fleckhaus’ Devise.

Einen Qualitätsfanatiker nennt Thomas Schröder ihn. Alles Mittelmäßige war ihm zuwider, allein „die Höhepunkte menschlichen Tuns“ interessierten ihn, so beschreibt es McBride, egal ob es um eine Kirche ging, eine Straßenanlage, ein Foto, eine Landschaft oder einen Braten.

Die große Klarheit: Das, sagt der Grafikdesigner Carsten M. Wolff, der mit Michael Koetzle ein materialreiches (leider vergriffenes) Buch über den Gestalter recherchiert hat, ist es, was er bis heute an Fleckhaus so schätzt: Lieber ein großes Bild als drei, vier kleine, die Arbeit mit starkem Kontrast, etwa zwischen großer fetter Schrift und zarten Illustrationen.

Fleckhaus, der nie eine Uni besucht, nicht einmal Abitur hatte, ja, der Schule und Lehrer nicht leiden konnte, wurde selber einer: Professor erst in Essen, dann in Wuppertal. Auch als solcher erzählte er seinen Studenten morgens oft als Erstes eine Geschichte aus dem Leben. Was nicht bedeutet, dass er gemütlich war. In seiner Kritik an Studentenarbeiten konnte er hart und ruppig sein. Aber sein Unterricht war extrem praxisorientiert und denen, die er schätzte, verschaffte er Aufträge und Jobs, machte mit ihnen etwa ein „Merian“-Heft über die Toskana. Auch so prägte Fleckhaus das Gesicht der Bundesrepublik: durch all die Schüler und Assistenten, die dann selber Artdirectoren und Professoren wurden. Und durch jene jüngeren Grafikdesigner, die fasziniert von seiner Arbeit, seinem Mut waren, ohne ihm je persönlich begegnet zu sein. Die Kunstzeitschrift „Monopol“ zum Beispiel, meint Carsten M. Wolff, war in ihrer Anfangszeit „reinstes Fleckhaus-Design“.

Dass dieser selber Autodidakt war, glauben Wolff und Michael Koetzle, war sein großes Glück. „Wer etwa die Regeln klassischer Typografie nicht vermittelt bekam, erlaubt sich eher, sie zu brechen.“ Und er suchte sich seine Vorbilder selber. Die mit Abstand wichtigste Figur war Alexey Brodovitch, der Artdirector von „Harper’s Bazaar“, auch er ein Autodidakt, der eng mit Irving Penn zusammenarbeitete. Ohnehin war Fleckhaus „ein Amerikabegeisterter“, so McBride, was der Fotograf nicht nur auf die moderne Gestaltung bezieht, sondern auch auf die Ideen von Freiheit und Demokratie, auf die Energie dort.

Und die Begeisterung beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Kaum war „twen“ auf den Markt gekommen, organisierte Designer Milton Glaser, der Erfinder des Logos „I Love New York“, eine Ausstellung über die innovative Zeitschrift, später wurde Fleckhaus in die Hall of Fame des Art Directors Club New York aufgenommen.

Sehr verehrt hat er auch Max Bill, den Schweizer Architekten, Künstler und Designer, den Mitbegründer und Rektor der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung – deren andere Vertreter Fleckhaus allerdings zu dogmatisch und puristisch waren. Max Bill verdankte er sein legendäres Raster, Linien im Quadrat, das den Ordnungsrahmen bildete für all die gestalterischen Freiheiten, die er sich nahm.

Von Max Bill, mit dem er befreundet war, ließ er sich auch sein Haus im Bergischen Land bauen. Willy Fleckhaus brauchte beides, die Verwurzelung in der Heimat seiner Kindheit und die Fremde: Italien, das Sehnsuchtsland. Dort, in seinem Garten in der Toskana, ist Fleckhaus auch gestorben, am 12. September 1983, mit 58 Jahren. Ein Herzinfarkt bei einem Spaziergang nach dem Abendessen.

Am Donnerstag, den 1. Juli, um 20 Uhr wird Carsten M. Wolff im temporären Suhrkamp-Laden in der Linienstraße 127, Berlin-Mitte, einen Vortrag über Fleckhaus und die edition halten und mit Rainer Groothuis und Friedrich Fossmann über Buchgestaltung sprechen.

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