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Nationales Duo. Johanna Altes und Vincent Nemeth in "Francofonia".

© Piffl Medien/dpa

Im Kino: "Francofonia": Unser aller Erbe

Alexander Sokurows macht in seiner Louvre-Fantasie „Francofonia“ wieder einmal ein Museum zum Schauplatz.

„Dirk! Dirk!“, ruft Regisseur Alexander Sokurow, an seinem Pariser Schreibtisch sitzend, verzweifelt ins Telefon. Die Leitung mit dem Kapitän des Containerschiffes ist unterbrochen, auf seinem Computerbildschirm sieht Sokurov nur, wie die Container ins tosende Meer rutschen. Da geht mehr unter als eine Ladung Bananen oder Autokarossen. Die Weltkultur ist bedroht, denn das Schiff transportiert Bilder und Skulpturen. Sokurow hat eine drastische Parabel dafür gefunden, was gerade im Nahen Osten, in Palmyra und andernorts passiert. Mit „Francofonia“ aber erzählt er die Geschichte der Rettung eines ganzen Museums während des Zweiten Weltkriegs. Genauer: des Louvre. Menschen können eben doch die Zerstörung aufhalten – oder zumindest den Versuch unternehmen.

Die Protagonisten sind historisch verbürgt: Louvre-Direktor Jacques Jaujard und der deutsche Offizier Franz Graf Wolff-Metternich, „Kunstschutz“-Beauftragter der Nationalsozialisten im besetzten Paris. Obwohl Kriegsgegner, arbeiten die beiden zusammen, um die zur Sicherheit auf das Schloss von Chambord gebrachten Werke vor dem Zugriff anderer Nazi-Truppen zu retten, etwa dem bildgierigen Hermann Göring oder dem räuberischen deutschen Botschafter Otto Abetz. Nur geht die Geschichte in Wirklichkeit etwas anders. Wolff-Metternich verhinderte durch seine Intervention den offenen Widerstand der Franzosen gegen ihre Besatzer, die eine Plünderung des Louvre vermutlich nicht hingenommen hätten. Der „Kunstschutz“ war im Übrigen keineswegs die Lichtgestalt unter den einfallenden Truppen.

Museen sind das Gedächtnis der Welt

Für Sokurows Geschichte ist dies nachrangig, seine Dokumentation verwebt sich mit diversen Fiktionen. So bekommt der auf Wochenschau-Material erhaltene Paris-Besuch Hitlers eine Tonspur hinzugefügt, auf der er mit knarzender Stimme die Schönheiten der Stadt preist. Das wirkt bizarr, aber der russische Regisseur will groß erzählen. Museen sind für ihn das Gedächtnis der Welt, das Reservoir unserer Kultur. Nachdem er 2002 in „Russian Ark“ in nahezu ungeschnittenen 96 Minuten die grandiosen Bildersäle der St. Petersburger Eremitage gefeiert hatte, widmet er sich nun der Hommage der größten Kunstkammer Westeuropas. Nicht nur der Regisseur selbst tritt darin auf – auch Napoleon biegt leibhaftig um die Ecke und brüstet sich der nun hier lagernden, auf den Feldzügen erbeuteten Schätze. Mit Marianne, die ihr phrygisches Mützchen und ein blau-weiß-rotes Flatterkleid trägt, betrachtet er einträchtig die Mona Lisa.

Bei aller Fantasie: Solche Visionen kommen Sokurow bitter an. Er schneidet deshalb Aufnahmen von Hungertoten in den Straßen des eingekesselten Leningrad dagegen, wo sich niemand für die Rettung der Kunst einsetzte. Wer sich auf Sokurovs Erzählform der cineastischen Verwischung zwischen Realität und Fiktion einlässt, erliegt bald der Wucht der Bilder, die mitunter an den Zugriff eines Tarkowski erinnern. Andererseits setzt der Regisseur zu heftig aufs Mobilisieren von Gefühlen. So erdrückt der Moralist Sokurov durch sein Pathos; der Erzähler dagegen nimmt durch seine Geschichte einer glücklichen Rettung, die sich der verschiedensten filmischen Mittel bedient, gefangen.

In den Berliner Kinos Cinema Paris, Delphi, Hackesche Höfe, International, Krokodil ( alle OmU).

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