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Kultur: Unsterblich wider Willen

Eine

von Wolfram Eilenberger

Nicht unsterblich zu sein, das ist und bleibt eine bekümmernde Aussicht. Denn ward das wundervolle Licht der Welt erst einmal erblickt, findet sich der Mensch nur widerwillig ab mit dem Gedanken, es möchte in absehbarer Zeit schon wieder zappenduster werden. Die unsterbliche Seele und der liebe Gott bilden deshalb traditionell ein Themenfeld, bei dem der öffentliche Spaß aufhört – und der philosophische eigentlich erst beginnt.

Wir können uns heute kaum noch vorstellen, welch einen Skandal ein 26jähriger Philosoph namens Ludwig Feuerbach (heute wäre er 200 geworden) im Jahr 1830 erzeugte, indem er die Unsterblichkeit der Seele zur schädlichen Chimäre erklärte, den lieben Gott zur allzu menschlichen Wunschvorstellung und die Hoffnung auf ein besseres Jenseits zum gesellschaftlichen Grundübel. Noch bevor der Privatdozent der Uni Erlangen akademisch loslegen konnte, war er erledigt. Sein Buch wurde verboten, der Autor polizeilich verfolgt, sämtliche Lehrstühle blieben verweigert.

Heute muss man schon Dokumentarfilme drehen, um derartige gesellschaftliche Widerstände zu mobilisieren. So wie Michael Moore mit seinem Frontalangriff auf den „Geist des 11. September“ oder Morgan Spurlock mit seiner vier Wochen währenden McDonald’s-Orgie. Entlarvungen ganz in Feuerbachs Sinne. Schließlich war es Feuerbach, der mit rhetorischer Brillanz gegen jene Mischung aus Gefühlsduselei und bibelfixiertem Fundamentalismus anschrieb, die seinerzeit unter dem Begriff „Mystik“ Deutschlands Jungakademikern das Hirn wusch und heute als „compassionate conservatism“ die Weltpolitik prägt. Und schließlich war es Feuerbach, der den Leib und seine Nahrungsgewohnheiten („Der Mensch ist, was er isst“) zum eigentlichen Standortfaktor erklärte.

Einer Gesellschaft, die einer diesseitigen Utopie von Solidarität, Liebe und Gleichberechtigung entsagt, drohen nach Ludwig Feuerbach vor allem zwei Entwicklungslinien: Sie versteift sich auf ein herrliches Jenseits und schafft sich ein Gegenreich des Bösen. Oder sie beginnt das große, sinnlose Fressen. Auch wenn es dem Unsterblichkeitsfeind Feuerbach selbst am wenigsten schmecken dürfte: Der Gute ist heute noch längst nicht tot. Er hat nur die Gestalt gewechselt.

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