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Kultur: Unter die Netzhaut

Bilder von Thaddeus Strode in der Galerie neugerriemschneider

Zu sehen ist eine einsame Insel, umspült von den Wellen des Ozeans. Unzählige mit Worten beschriebene Flaggen sind auf diesem utopischen „nowhere land“ (The Beatles) gehisst, im himmlischen Hintergrund sind in luftiger Höhe fratzenartige Gesichter zu erkennen: im prägnanten Comicstil zum Beispiel ein langhaariger Surfer-Hippie und eine verheißungsvolle Schöne. Dieses großformatige Gemälde „Landscape #1: internal thoughts and apparitions“ von dem US-amerikanischen Künstler Thaddeus Strode aus dem Jahr 2002 scheint auf den ersten Blick mitzuschwimmen auf der derzeit angesagten fröhlichen neuen Welle der Malerei (30 000 Dollar). Doch der zweite Blick verrät wie so oft mehr, etwa beim Lesen der besagten Flaggenmeldungen: Worte wie „bombs“ und „Ghosts“, „Just words“ oder „No future“ erzählen von einer ebenso depressiven wie nachdenklichen Stimmung, die auf der menschenleeren Insel geprägt ist durch Pessimismus, Isolation und Gewalt.

Auch die anderen vier Bildern der Ausstellung mit dem vielsagenden Titel „dirty sea tales told at dusk“ berichten von der Existenz verlorener Seelen. Auf dem Gemälde „hard beats and water rhythms: isle of voices“ (2002, 25 000 Dollar) hat Strode mit schnellen, kraftvollen Strichen in Mischtechnik ein verlassenes Floß auf hoher See auf die Leinwand gesetzt. Wie wahnsinnige Illusionen erscheinen dazu flächendeckend aufgetragene pornographische Szenen, wiederum comichaft in schwarzer Linienführung skizziert. Diesen erotischen Phantasmagorien eines abwesenden Schiffbrüchigen ist das Bild eines älteren Herren mit Socken und Bierbauch gegenübergehängt. Der an Robinson Crusoe erinnernde tragikomische Eremit kocht sich am offenen Feuer sein tägliches Mahl.

Doch nicht nur die pessimistische Grundstimmung dieser Bilder isoliert diese Arbeiten vom aktuellen Hype jüngerer Malerei. Vor allem die konzeptionelle Eingebundenheit der Gemälde in ein vielschichtiges Werk, das aus Videos, Objekten und Performances besteht, lässt dieses intelligente Oeuvre vergleichsweise einsam dastehen im Umkreis bloßer Pinselorgien. Nicht vorrangig um ästhetische Farbwirkungen oder expressive Ausführungen im Rahmen abgesicherter Kunstgeschichte geht es dem Amerikaner, sondern um die Inszenierung eines Lebensgefühls, das für die Westküste der USA nicht untypisch ist. Im magischen Dreieck von aggressivem Punk, harmonischem Surfen und introvertierter Meditation gewinnt es seine Kraft, aber auch Ohnmacht.

Noch vor zwei Jahren stellte Thaddeus Strode dieses Lebensgefühl in der damaligen neugerriemschneider-Ausstellung als Multi-Media-Mixed aus Skulpturen, Wandtexten, Zeichnungen und großformatigen Gemälden vor. Dass die aktuelle Ausstellung auf eine solche Vielfalt der Genres verzichtet, mag zunächst enttäuschen. Doch eben dieser künstlerischen Konzentration gelingt es, die Diskussion um die Malerei quasi von innen her in spannendere Fahrwasser zu lenken: Dass sorgfältig entwickelte Inhalte wichtiger sind als rein formale Abenteuer auf Leinwand, genau dies belegt die Ausstellung.

Galerie neugerriemschneider, Linienstraße 155, bis 17. Mai; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Raimar Stange

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