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Kultur: Unter Rekordverdacht

Die Erfolge der New Yorker Moderne-Auktionen schüren die Erwartungen für zeitgenössische Kunst

Nach 18 Monaten Stagnation wird nun auch der Spitzenmarkt für die zeitgenössische Kunst wieder in Fahrt kommen. Das ist die Prognose der Kunstmarktinvestoren und die Hoffnung der Auktionshäuser. Nach einer Woche starker Moderne-Auktionen – mit dem neuen Höchstpreis von 106 Mio. Dollar für ein Bild von Picasso – kommen nun auch wieder Spitzenwerke von Künstlern auf den Markt, die unter dem vergangenen Preiseinbruch besonders litten. Oder aus Angst vor Flops erst gar nicht angeboten wurden, wie Arbeiten von Jeff Koons oder Richard Prince.

Stars werden neben dem Flaggengemälde von Jasper Johns aus der Sammlung von „Jurassic Park“-Autor Michael Crichton zwei Bilder Andy Warhols: Christie’s bietet ein Diptychon aus einem monochrom silbernen Leinwandquadrat und einem Liz-Taylor-Porträt an und hat es auf zehn bis 15 Mio. Dollar geschätzt. 2002 kostete ein solches Werk in einer Auktion noch vier Mio. Dollar. Noch spannender dürfte es bei Sotheby’s werden, wenn ein monumentales Selbstporträt aus dem letzten Schaffensjahr Warhols, fast drei Meter im Quadrat, mit derselben Schätzung angeboten wird.

Ein so großes Werk dieses Motivs war noch nie in einer Auktion und Warhol ganz draußen aus den Auktionen, als das Preiskarussell im November 2008 ins Stocken geriet. Doch seit dem Herbst ist er wieder präsent, und nun werden die Käufer schon wieder von Spitzenwerken verführt. Die Preise – oder wenigstens die Schätzungen – liegen jedoch immer noch unter dem Niveau von 2007: Sotheby’s Rothko ist auf 18 bis 25 Mio. Dollar geschätzt. „Vor drei Jahren wären das 30 bis 40 Millionen gewesen“, sagt Contemporary-Direktor Tobias Meyer.

„Alles bewegt sich in die richtige Richtung“, sagte man bei Sotheby’s nach der Auktion vergangene Woche, als man ohne große Schlagzeilen bequem 195 Mio. Dollar einspielte. Das Ergebnis lag ganz oben an der Schätzung und zeigte, dass nicht nur die unwiederbringlichen Meisterwerke, wie von Christie’s am Tag zuvor angeboten, wieder Absatz finden. Picassos Rekordgemälde und Giacomettis für 53 Mio. Dollar verkaufte Büste „Grand Tête mince“ stammten aus dem Nachlass von Mrs. Sidney F. Brody, die in den fünfziger und sechziger Jahren gemeinsam mit ihrem Ehemann in Los Angeles ohne die heute übliche Spekulation eine exzellente Kunstsammlung zusammengetragen hatte. Christie’s und Sotheby’s verhandelten angeblich vier Monate lang. Christie’s bekam den Zuschlag mithilfe der umstrittenen Wunderwaffe aus Boomzeiten: einer Pauschalgarantie in unbekannter Höhe für alle 80 Lose. Nun spielte allein die Brody-Sammlung für die 28 in der Abendauktion verkauften Lose 224 Mio. Dollar ein, weit über Schätzung.

Die Giacometti-Büste wurde an den Händler und Kunstberater Guy Bennett verkauft, der für einen europäischen Sammler tätig war und sich den Abguss aus Giacomettis Lebzeiten – ein immer wichtigerer Preisvorteil – die doppelte Schätzung kosten ließ. Giacomettis Preise steigen seit zwei Jahren, völlig unberührt von der Krise. Europäer und Amerikaner sind auf diesem Markt weiterhin die wichtigsten Spieler, und die Ergebnisse zeigen, dass sie den Glauben in die Kunst nicht verloren haben: Kunst bleibt Lebensbereicherung und der Beweis für Sozialprestige und ist nun als Wertanlage erst recht wertvoll: „Wir rechnen damit, dass die Kunstpreise in den nächsten zwei Jahren um 40 Prozent anziehen“, sagt Constanze Kubern als deutsche Kunstkäuferin der „Collection of Modern Art“, eines Londoner Kunstfonds, den die Investment Firma Castlestone Management mit dem Geld ihres Chefs Angus Murray und einer österreichischen Familie aufgelegt hat. Womit die Preiskorrektur in der Krise bequem wieder wettgemacht wäre. Der Fonds sammelt nur Kunst aus dem „AME Postwar 50 Index“, der die 50 wichtigsten und meistgehandelten Künstler in diesem Marktsegment erfasst.

Unterhalb dieses Kernsegments der „klassischen Contemporary“ brodeln jedoch schon wieder die Künstler unserer Tage. Christie’s bietet neben einem großen Jeff-Koons-Gemälde (3–4 Mio. Dollar) am Dienstag das drei Meter breite Bild „Dead Monkey – Sex, Money and Drugs“ von Chris Offili an, das mit einer Schätzung von 1–1,5 Mio. Dollar einen Rekordpreis bringen soll. Auch Neo Rauchs „Suche“ aus der Sammlung des Hollywood-Filmmoguls Michael Ovitz steht unter Rekordverdacht. Sotheby’s hat eine Installation des Witzboldes Maurice Cattelan, die 2004 für zwei Mio. Dollar ersteigert wurde, nun mit dem Doppelten auf Höchstniveau angesetzt.

Wirklich angeschoben wird der Markt aber wieder von dem Phänomen, das hinter dem Boom der Jahre 2004 bis 2008 stand: der Globalisierung und der wachsenden Kunstnachfrage der neuen, reichen Länder. Für die Christie’s-Abendauktion hatten sich Bieter aus 39 Ländern angemeldet – auch aus Südkorea, Taiwan und dem Nahen Osten. Bei Sotheby’s gingen zwei Spitzenlose von Monet (15 Mio. Dollar ) und Dali (für den Rekordpreis von 5,6 Mio. Dollar) an einen Bieter aus Asien. Die Preise bei Sotheby’s Contemporary-Auktion in Hongkong mit Chinesischer Kunst schossen wieder nach oben, und erst recht sah man den Trend in London, als Phillips de Pury vor zwei Wochen junge und jüngste Kunst aus den BRIC-Ländern versteigerte – Brasilien, Russland, Indien und China. Der Erfolg war durchschlagend. Kunst wird wieder gekauft. Und zwar in aller Welt, nicht trotz, sondern wegen der Krise.

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