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Feindselige Umgebung. Das brennende Dach des geplanten Ayslbewerberheims in Tröglitz (Sachsen-Anhalt) in der Nacht zum 4. April 2015.

© dpa/Polizei Sachsen-Anhalt

Unterbringung von Asylbewerbern: Schickt die Flüchtlinge nicht in die Dörfer!

Nirgendwo ist der einzelne Mensch der örtlichen Bevölkerung so ausgeliefert wie in der Provinz. Wer von Krieg traumatisiert ist, braucht keine feindselige Umgebung. Sondern Stadtluft und Möglichkeiten. Warum Flüchtlinge ins Zentrum der Gesellschaft gehören – ein Plädoyer.

Von Caroline Fetscher

Auch wenn es keinen einzigen Rechtsradikalen in einem Dorf gäbe, nicht den winzigsten, maliziösen Nazizwerg – es wäre der falsche Ort für Flüchtlinge. Auch dann, wenn alle hundertdreißig oder zweihundert Bewohner einer kleinen Ortschaft Apfelkuchen für die in ihr Revier geschobenen Gäste backen würden, auch wenn sie Stiefel, Jacken und Teddybären stiften, sich rührend kümmern und bemühen würden, ein kleiner Ort bleibt für jeden Neuankömmling ein Platz am Rand vom Rand einer ohnehin fremden, neuen Gesellschaft. In der Praxis ist der kleine Ort auch ein partiell feindseliger. Das ist hier das Plädoyer: Nicht in die Dörfer! Schickt sie nicht in die Dörfer! Und auch nicht an die Stadtränder.

Wie die Öffentlichkeit wissen kann, gab es allein im vergangenen Jahr rund siebzig gewalttätige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, 33 davon waren Brandanschläge. Darüber hinaus zählten die Amadeu Antonio Stiftung und die Organisation Pro Asyl 55 tätliche Übergriffe auf Individuen. Schon im Jahr davor errechnete das Bundeskriminalamt doppelt so viel Gewalttaten und Propagandadelikte gegen Flüchtlinge wie 2012. Nach wie vor gibt es Brandstiftungen, wie unlängst im unseligen Tröglitz, das nun jeder kennt. Sachbeschädigungen, Körperverletzung, verbale Übergriffe, aggressive Kundgebungen und Demonstrationen tauchen in der Statistik auf, die meisten Straftaten geschehen in Dörfern und an den betongesäumten Rändern der Stadt. Allein in den ersten Wochen 2015 haben Täter schon 25 Attacken auf Unterkünfte verübt und 22 Gewalttaten gegen Flüchtlinge.

Notorisch wurden im vergangenen Jahr Ortschaften, die Namen tragen wie Annaberg-Buchholz oder Hoyerswerda in Sachsen, Apolda, Breitenworbis, Gerstungen oder Waltershausen in Thüringen, Groß Lüsewitz in Mecklenburg-Vorpommern, Sangerhausen und Merseburg in Sachsen-Anhalt, Falkensee oder Luckenwalde in Brandenburg, Großostheim im Landkreis Aschaffenburg, Heiligenhaus, Tostedt und Garbsen in Niedersachsen, Lübbecke, Heiligenhaus und Mechernich in Nordrhein-Westfalen, Anzing, Germering oder Vorra in Bayern, Efringen-Kirchen in Baden-Württemberg.

Jeder Ort hat seinen Liebreiz - und seine Rechtsradikalen

Nein. Diese Aufzählung soll nicht suggerieren, Provinz sei per se dunkles Gelände. Jeder dieser Orte hat, wie tausende anderer, deren Namen man oft nur in der Region gut kennt, Liebreiz, Traditionen, lokale Avantgarde, wohlmeinende Helfer – aber eben auch Rechtsradikale. Die gibt es, ohne Frage, auch in den Städten. Dresdens Montagswanderer demonstrieren das mit Deutlichkeit, und auch in Berlin, Hannover oder München gab es Übergriffe auf schutzsuchende Fremde. Doch nirgends ist ein Mensch der örtlichen Bevölkerung so ausgeliefert wie in der Provinz, ausweglos im geografischen wie sozialen Sinn. Je kleiner die Gemeinschaft, desto massiver der Gruppendruck.

Asylsuchende, oft traumatisierte Überlebende aus Kriegs- und Krisenregionen, brauchen Stadtluft, Anregungen, Möglichkeit, und sei es in einem Imbiss an der Ecke, Leuten zu begegnen, die ihre Sprache sprechen. In den Städten gibt es Dolmetscher, Vereine, Ärzte, Therapeuten, Musik, Kunst, Schaufenster, Läden. Geflüchtete brauchen die Nähe kultureller, sozialer Treffpunkte, die Chance, für ein paar Stunden der Beengung im Heimalltag zu entkommen, andere Leute zu betrachten, sich nach einem Spaziergang im Park aufs Gras zu hocken oder auf eine Bank. Es geht um die Gelegenheit, mit allen Sinnen das Land zu ertasten, in dem sie gelandet sind, und darum, dabei Ideen zu entwickeln, wie es weitergehen kann. Sozial überlebensnotwendig ist so ein Ambiente, das keine Kaserne am Dorfrand jemals bieten kann, auch keine Baracke im prekären Randgebiet einer Stadt.

Es braucht kein starkes Vorstellungsvermögen, sich in jemanden hineinzuversetzen, der, sagen wir, aus dem syrischen Aleppo seinen Weg in den Norden gemacht hat, um Leib und Leben zu retten. Am Herkunftsort, wo die gewohnte Ordnung der Dinge zerbrochen ist, haben Mann, Frau, Kind erlebt, wie Häuser, ganze Straßen zu Asche und Schuttbergen wurden. Dem Alb bei Tag folgten Albträume. Schlaf und Ruhe waren permanent bedroht oder gestört. Sie haben Angehörige beerdigt, die durch Waffengewalt starben. Ohne die Normalität von Schule, Arbeit, Familienfeiern haben sie überlebt, bis sie ihre Koffer packten, in der Hoffnung, der Zone von Panik und Terror zu entrinnen.

Auf dem Dorf kommen ab und zu sympathische Leute von nebenan. Und ab und zu unsympathische.

Feindselige Umgebung. Das brennende Dach des geplanten Ayslbewerberheims in Tröglitz (Sachsen-Anhalt) in der Nacht zum 4. April 2015.
Feindselige Umgebung. Das brennende Dach des geplanten Ayslbewerberheims in Tröglitz (Sachsen-Anhalt) in der Nacht zum 4. April 2015.

© dpa/Polizei Sachsen-Anhalt

Wenn sie ungewohnte Geräusche hören, wenn sie Uniformen sehen, schrecken sie auf. Wo das Rote Kreuz oder andere Organisationen sie hingebracht haben, sprechen alle eine Sprache, die sie nicht kennen. Es herrscht ein Klima, an das sie nicht gewöhnt sind. Zusammengepfercht teilen sie sich Baracken, Kasernen, Turnhallen mit anderen, die ihnen oft ebenso fremd sind wie die Leute im Aufnahmeland. Ab und zu kommen sympathische, einheimische Leute von nebenan. Ab und zu kommen unsympathische, einheimische Leute von nebenan. Und ab und an Beamte, für die Begriffe wie posttraumatische Belastungsstörung Abstrakta sind. Fortbildungen in solchen Fragen sind eine Seltenheit. Und draußen? Eine geschlossene Gesellschaft aus Dorfkneipen, Schulbussen, Scheunen, Schützenvereinen, Silos, Traktoren auf Äckern und abendlichen Fernsehrunden hinter den zugezogenen Gardinen, den Rollläden, durch deren Ritzen Lichtstreifen aus dem zugesperrten Innendringen. Von Aldi, Lidl und Behördenfluren abgesehen, sind Geflüchtete aus den Sphären der Gesellschaft ausgeschlossen.

Wer als Erwachsener eine Erinnerung an Kinderheime hat, kann unter Umständen vergleichen. Liegt das Heim zwischen Acker und Waldrand, Kilometer vom nächsten Dorf entfernt, ist das Gefängnis total, besonders im Winter. Insassen werden den Launen und Deformationen der Erzieher überlassen. Es gibt kein Außen mehr. Ein Claustrum zurrt das Bewusstsein zusammen, es gibt keine Kommunikation mehr mit der Welt. Liegt das Heim in der Ortsmitte, zwischen Läden, geselligen Straßen, wirkt die gesamte Atmosphäre freier. Selbst wenn im Inneren der Anstalt Missstände herrschen: Es gibt ein Außen. Es gibt Kommunikation mit der Welt. Darauf kommt es an, vor allem, wenn Menschen in der Fremde ankommen und zu sich kommen möchten.

Die Debatte um die Verteilung von Flüchtlingen ähnelt der um Sondermüll

„Flüchtlinge sind Objekte der Verwaltung“, konstatiert die Organisation Pro Asyl in einer Studie vom August 2014. „Bei der Wahl des Wohnsitzes und der Unterbringungsform haben sie kein Mitspracherecht. Aufnahme, Verteilung, Zuweisung und Unterbringung richtet sich nach Erfordernissen, die sich am föderalen Verwaltungsaufbau der Bundesrepublik orientieren.“ Nach einem Schlüssel werden Geflüchtete bundesweit verteilt, bürokratisches Kalkül – Asylverfahrensgesetz, Aufenthaltsgesetz und Asylbewerberleistungsgesetz – entscheiden, wer wen wo aufnimmt.

Nicht selten ähneln die Debatten um Standorte von Flüchtlingslagern dem erbitterten Gerangel um die Verteilung von Sondermüll, von Chemie- und Atomabfällen: „Wir haben schon so viel, sollen die anderen was nehmen!“ Zivilisiert wäre es allein, keinen einzigen Augenblick aus dem Sinn zu verlieren, dass es um beschädigte Menschenleben geht, um Leute, die einen sicheren Ort verdient haben, und nicht etwas, das verwaltungstechnisch gehandelt wird wie eine Deponie. Für den Überblick der Behörden mag die vorübergehende „Wohnpflicht in der Gemeinschaftsunterkunft“ Sinn haben. Aber es kommt darauf an, wo diese „Aufnahmeeinrichtung“ ist, welche Gestalt und Gestaltung sie hat.

Seit dem Tröglitz-Vorfall, wo Feuer an den Dachstuhl eines Flüchtlingsheims gelegt worden war, warnt der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt davor, wegen solcher Anschläge Standorte aufzugeben. Andernfalls bekämen doch die Rechtsradikalen bloß ihren Willen. In der Theorie ist das richtig und rührend, es sprechen gute Menschen. Aber geht es darum, dass „wir“, als die „besseren Bürger“, uns wohler fühlen, wenn der Wille der Behörde durchgesetzt wird, Asylbewerber vorübergehend am Ort X anzusiedeln, wo sie nicht willkommen sind? Wo sie womöglich mit Polizeischutz vor der Tür frühstücken, und zu ihren Traumata neue hinzubekommen? Feindselige Umgebungen sind kein Ort für traumatisierte Gäste! Es geht nicht um eine Demonstration der Standfestigkeit, Standortfestigkeit auf Teufel komm raus. Es geht um die vor Mord und Terror Geflüchteten.

Ressentiments und Bildungsferne von Randgruppen sowohl in ländlichen Gebieten als auch in der Bevölkerung der Banlieues ähneln einander. Viele existieren dort selber in Bedrängnis, Ängsten und Nöten, sind belastet von transgenerationell weitergereichten Traumata und kennen die Erfahrung eingeschränkter Optionen auf ihrem biografischen Pfad. Ihre Psyche bemächtigt sich nur zu leicht jedes Sündenbocks, der diesen Pfad kreuzt. Beim Auftauchen Fremder haben diese Gruppen seit je die Bedrohung durch etwas gefürchtet, das ihnen selbst nicht bewusst war. Wer, wie ein Flüchtling, noch weniger Status besitzt als ein autochthoner Underdog, eignet sich als Objekt zur projektiven Identifikation. Deren Klartext klänge so: Dieser andere da ist der Nichtstuer, Gedemütigte und Staatskohle Kassierende, der potentiell kriminelle Rachsüchtige, der eigentlich ich bin – das aber vor mir selber nicht sein will.

Wer diese Gruppe der Inhaber von Ressentiments und die Gruppe der von Alpträumen verfolgten Flüchtlinge räumlich zusammensperrt, mischt einen sozial toxischen Cocktail. In den Stadtzentren, in Berlin zumal, stehen ganze Baukomplexe leer, oft seit Jahren. Mit sozialem Umdenken, architektonischer Fantasie und einer Portion Empathie im Denken der Bürokraten ist alles machbar. Es geht nicht darum, dass wir uns als Aktivisten oder Helfer wohlfühlen, sondern darum, dass schwer verletzte Ankömmlinge den ersten Schritt zur Heilung gehen. Nur so stehen sie eines Tages fester auf ihren Füßen. Mit denen gehen sie vielleicht zurück, wenn sich da, wo sie herkommen, Frieden ausgebreitet hat. Oder sie suchen sich eine eigene Bleibe und Arbeit. Baracken und Kasernen in unwirtlicher Gegend sind dabei keine Hilfe, sondern eine unmenschliche Zumutung.

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