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Kultur: Untergang als Auferstehung

Heiner Müller lebt: „Germania.Stücke“ am Deutschen Theater Berlin

In der Archäologie kommt alles auf die Feinarbeit an. Gerade wenn man nicht weiß, aus welcher Epoche die Knochenreste, Ruinen und Waffen stammen, die man im vermimten Gelände ausgegraben hat, hilft nur Fingerspitzengefühl. Voreilige Interpretationen einer versunkenen Frühzeit würden nur den Blick verstellen.

Die Fundstücke solch einer archäologischen Ausgrabung sind in Berlin jetzt im Deutschen Theater zu besichtigen. Sorgsam präpariert liegen sie gut ausgeleuchtet auf der Bühne wie in einer Vitrine: Überbleibsel einer versunkenen Epoche, für den heutigen Betrachter so rätselhaft wie Höhlenmalerei. Regisseur Dimiter Gotscheff hat Szenen von Heiner Müller aneinandermontiert und auf die denkbar sprödeste, sprich: erhellendste Weise inszeniert. Es sind Szenen aus einem autoritär deformierten Preußen, vom Faschismus, von der DDR. Fremd sind sie nicht, weil das alles so lange zurückliegt, sondern weil Müller seine Momentaufnahmen mit Pathos und Geschichtsteleologie auflädt, die uns postideologischen Ironikern abhanden gekommen sind.

Der Zusammenhang, den Müller in seiner Geschichtscollage „Germania Tod in Berlin“ von 1971 zwischen Preußen, Nazismus und DDR herstellt, ist zersplittert: isolierte Einzelszenen, vergrößerte Momentaufnahmen aus einer von Gewalt, Verrohung und Desillusionierung geprägten deutschen Geschichte. Diese Fragmentarisierung wird noch verstärkt, indem das Material mit späteren Texten collagiert ist. Gotscheff verzichtet auf anheimelnde Effekte und Bebilderungen des Texts und stellt die Distanz zu Müllers Pathos aus; so ermöglicht er einen von Interpretation unverstellten Zugang zu Müllers Geschichtssteinbruch.

Die Bühne (Jens Kilian): ein flach ansteigendes Quadrat, leer bis auf neun Stühle. Hier wird kein bluttriefendes Historiengemälde nachgestellt, kein dekorativer Bilderbogen ausgebreitet, hier schrumpft Geschichte trocken auf Parabelformat. Was den Schauspielern viel Raum lässt, um die latente Komik in Müllers Szenen auszubreiten. Margit Bendokat als krumm gebeugter Friedrich von Preußen im Gespräch mit Voltaire: eine mit Genuss hingestellte Karikatur. Kraftvolle und nuancenreich macht Almut Zilcher aus Müllers Phantasmagorie eines Schlachtfelds, auf dem sich Cäsar, Napoleon und die Nibelungen um Leichenteile schlagen, eine Erzählung des lustigsten Trashs.

Müllers blutige Schlachtplatte: ein bizarrer Witz. All die Tragödien um Brudermord, Verrat, Kannibalismus schrumpfen zu Berichten aus einem deutschen Horrorkabinett. Thomas Schmid als preußischer Irrenarzt und Erfinder einer „Masturbationsbandage“ macht aus Müllers schwarzer Aufklärungskritik eine Knallchargennummer. Auf diese Weise wird die Groteske, die Schrecken und Komik ineinander montiert, erträglich. Unangenehmer wird es nur bei den Pathosmomenten. Müllers Vision eines sterbenden Arbeiters vor auferstandener Rosa Luxemburg ist purer Revolutionskitsch.

Im Zentrum des Abends: Zwei Monologe, Selbstgespräche des Autors nach dem Ende aller ideologischen Gewissheiten. Die Worte der wahnsinnig gewordenen Frau aus Müllers „Hamletmaschine“ macht Almut Zilcher zur gespenstischen Szene. Sie geht über die dunkle Bühne, vorbei an einer Wand großer Scheinwerfer, wie in ein Totenreich: „Ich reiße die Türen auf, damit der Wind herein kann und der Schrei der Welt.“ Robert Gallinowski macht den Monolog eines desillusionierten Intellektuellen zu einer empfindlichen Selbstbefragung: „Ich, wer ist das, im Regen aus Vogelkot, im Kalkfell.“ Müllers Allegorien und ideologiegesättigten Großkonstruktionen bekommen hier eine persönliche, auch weiche Färbung.

Ein Höhepunkt ist dann Christian Grashofs Schlussmonolog, der Müllers blanken Ekel angesichts des wiedervereinigten Deutschland trocken, unpathetisch und gänzlich unlarmoyant auslotet.

Wieder am 30.9. und 3.10.

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