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Unternehmensberatung für Bamberger Symphoniker: Da ist Musik drin

Kunst und Geld (Teil 2): Wie sich die Bamberger Symphoniker erfolgreich unternehmensberaten lassen

Alle fürchten sich. Ganz Deutschland hat Angst vor den apokalyptischen Reitern, den Einsparungen im Kulturbereich, dem schleichenden Bildungsverlust, der Virtualisierung der Welt und einem schwächelnden Konzertpublikum. Ganz Deutschland? Nein.

Im sonnigen Süden, wo die schöne Regnitz sich zwischen weltkulturerbegeschützten Gemäuern schlängelt, wo die Damen mit ihren Stöckelschuhabsätzen im mittelalterlichen Straßenpflaster steckenbleiben und die Herren des örtlichen Symphonieorchesters mit dem Fahrrad zur Probe fahren – dort, im oberfränkischen Bamberg, ist alles gut. Wird alles sogar noch besser. Nicht, weil man so herrlich beschützt lebt. Sondern weil man verstanden hat, wie die Welt draußen tickt: Als eines der ersten Orchester Deutschlands haben sich die Bamberger Symphoniker unternehmensberaten lassen.

Dabei hatten sie die heftigsten Probleme eben erst gelöst. Nach der Jahrtausendwende hatten sich durch Misswirtschaft riesige Schulden angehäuft. Mit dem Amtsantritt von Intendant Paul Müller im Sommer 2001 jedoch, bald nach dem Engagement des neuen Chefdirigenten Jonathan Nott, glich der Freistaat Bayern den Fehlbetrag von 3,5 Millionen Mark aus. Zwar hörten die Orchestermusiker immer wieder von den Sorgen ihrer Kollegen in anderen Ensembles. Ihnen selbst aber stand das Wasser höchstens bis zum Knöchel.

Dem einstmaligen Emigrantenorchester – nach dem Krieg, 1946, vor allem von Mitgliedern des Prager „Deutschen Philharmonischen Orchesters“ gegründet – ging es gut. Die Tourneepläne stimmten, die Auslastung der Konzerte zu Hause auch, obwohl es lange Zeit überhaupt kein Marketing gab, ja nicht einmal Konzertplakate. Nicht umsonst rühmt sich das Orchester bis heute, dass fast zehn Prozent der 70 000 Einwohner Bambergs Abonnenten sind.

Freilich zippelte es hie und da. Man wusste, dass das Paradies nicht ewig währt. Und dass der Bund ab 2004 die Zuwendungen streichen würde. Von den kaum steigerbaren Abonnentenzahlen war kein großer Ausgleich zu erwarten. Außerdem existierte bei Müllers Amtsantritt keine geregelte Tourneeplanung, und das, obwohl das Orchester 40 Prozent seiner Konzerte auswärts bestreitet und sich abzeichnete, dass der Tourneemarkt vor allem durch die preiswerten Jugendorchester umkämpfter werden würde. Im Grunde, so Paul Müller, waren die Bamberger Symphoniker „im Markt verschwunden“.

Jetzt geriet vieles in Gang. Mit Jonathan Nott, der 2000 von der Luzerner Oper nach Bamberg gewechselt war, kam ein Neue-Musik-Aficionado ans Pult. Das Gegenteil eines Machtmenschen, ein Genie der Kommunikation. Und ein glänzender Dirigent, der sich stets „Restrisiken für den Abend aufbewahrt“, wie es Christian Dibbern vom Orchestervorstand formuliert. Auch organisatorisch brachen neue Zeiten an. Im Januar 2004 wurde das Orchester umgetauft; seitdem heißt es „Bayerische Staatsphilharmonie“ und kann darauf zählen, dass der Freistaat über 80 Prozent des jährlichen Fehlbetrags übernimmt. Und ein Jahr später wurde aus dem Orchester eine öffentlich-rechtliche Stiftung.

Trotzdem reichte es den Bambergern immer noch nicht. Wie würde sich die Orchesterlandschaft in zehn Jahren verändern? 2005 beschloss man daher, mit der in München ansässigen Metrum Managementberatung ins Gespräch zu kommen, einem kleinen Unternehmen, das sich auf Kulturbetriebe spezialisiert hat. Dessen Chef Peter Gartiser hält von „psychotherapeutischer Behandlung“ nichts. Schon gar nicht bei einem so empfindsamen Klienten wie einem ganzen Symphonieorchester.

Am Anfang stand trotzdem eine Orchestervollversammlung. Nicht um Stellenstreichungen würde es gehen, erfuhren die über 100 Musiker, sondern um die Formulierung eines neuen Selbst- und Außenbildes. Um Fragen nicht zur Musik, sondern zu Markt, Verwaltung und Organisation. Anderthalb Jahre lang trafen sich die Münchner regelmäßig mit den Bambergern, diskutierten Selbsteinschätzung und Visionen und glichen sie mit nüchternen Fakten ab. „Der Röntgenblick von außen“, sagt Violinist Dibbern heute, „ist Gold wert.“

Dem Bamberger Verdacht etwa, der Tourneemarkt sei schwieriger als vormals, begegneten die Münchner ganz einfach mit Bilanzen, Statistiken und Überblicken über die Reisen der letzten 20 und der nächsten zehn Jahre. „Angst kommt von Nichtwissen“, sagt Paul Müller dazu. Außerdem gab es Hausaufgaben für die Orchesterleute: Welche Möglichkeiten sind denkbar, um das Ensemble optimal auf dem Markt zu positionieren? „Wir sollten mehr Aufnahmen machen“, schlug zum Beispiel jemand vor. „Der CD-Markt ist vollkommen gesättigt“, antwortete Gartiser dann und zog die Marktdaten aus der Tasche. „Wir sind Methodiker, keine Besserwisser“, sagt er selbst. Man dürfe nicht gegen die Kulturverantwortlichen arbeiten, das Ganze sei ein Gemeinschaftsprozess. Oder, wie Dibbern es sagt, „ein Brainstorming mit unendlich viel Zeit“.

Am Ende gaben die Münchner den Bambergern Empfehlungen an die Hand. Äußerten sich zum Thema „Disposition“, zur langfristigen Planung und zur leidigen Terminfestsetzung für Proben und Konzerte also, der sich Orchestermusiker um jeden Preis beugen müssen. Seitdem gibt es in Bamberg Termin-Sicherheit auf zwei Jahre im Voraus, so dass die Musiker besser für sich selbst planen können. Die Berater sprachen sich auch für mehr Personal aus – neben dem Orchestermanager wurde daher die Stelle eines Direktors für Marketing und Finanzen geschaffen. Und sie votierten für eine Erhöhung der Eigeneinnahmequote, schon um unabhängig zu bleiben: Die Kartenverkäufe werden also steigen müssen, und die künstlerische Entwicklung muss voranschreiten, damit man künftig von Veranstaltern höhere Preise verlangen darf. Fundraising und Sponsoring sind hier noch nicht ausgeschöpft.

Und wie könnte die Vision für das nächste Jahrzehnt aussehen? „Die Auseinandersetzung mit Leitsätzen“, sagt Gartiser, „bündelt und fokussiert.“ „Wir wollen das Publikum begeistern“, sagte jemand in der Diskussion. Zu diffus. „Wir wollen das innovativste Orchester sein.“ Genauso diffus. „Die Vision“, sagt Müller, „darf nicht eindimensional sein. Sie muss eine Strategie begründen.“

So schälte sich bei den regelmäßigen Berater-Orchester-Treffs allmählich ein Leitsatz heraus, der die Probleme eines schwierigen Tourneemarktes und eines gesättigten Heimatmarktes auf einen Schlag löst: In Nachkriegszeiten waren die Bamberger unterwegs, um das „ruinierte Deutschlandbild im Ausland wieder zu reparieren“, wie die Zeitschrift „Das Orchester“ einmal schrieb. Warum nicht daran anknüpfen? Der Leitsatz, zu dem man schließlich fand, erinnert in seiner umwerfenden Schlichtheit an Einsteins dreibuchstabige, dennoch weltbewegende Formel: „Die Bamberger Symphoniker sind der Kulturbotschafter Bayerns in der Welt.“ In dieser Selbstbeschreibung, die man flugs auf alle Broschüren für die Saison 2006/07 setzte, steckt einfach alles: Stolz. Verantwortung. Internationalität. Heimatverbundenheit, über die sich wiederum leichter Sponsoren werben lassen. Dank und Gegenleistung für den Freistaat als Zuwendungsgeber, der auf diese Weise unversehens zum Sponsor wird. Da haben die Kollegen vom Bayerischen Staatsorchester in München wohl große Augen gemacht.

Letzte flankierende Maßnahme für den Aufbruch des Orchesters in eine goldene Zukunft war die Gründung eines Stiftungsbeirats im Februar: eine Gruppe institutionalisierter Freunde mit dem vormaligen tschechischen Außenminister Fürst Schwarzenberg an der Spitze. Glücklich spannt sich der Bogen zurück in die Anfangsjahre des böhmischstämmigen Klangkörpers.

Zuletzt erschien: Bildende Künstler in Zeiten von Hartz IV (13.7.). Nächste Folge: Besuch bei Berliner Non-Profit-Verlagen.

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