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Urheberrecht: Die Ideen der anderen

Internet-Piraten gegen Copyright-Magnaten: kleine Einführung in die Ideologie des digitalen Freibeutertums

Mit intellektuellem Eigentum kennt sich Mark Getty aus. Der Gründer der weltweit führenden Bildagentur „Getty Images“ hat mit Urheberrechten ein Vermögen verdient. Kein Wunder also, dass von ihm jener Satz stammt, der die aktuelle Debatte über Datenpiraterie so erhellend wie kein anderer zusammenfasst: „Intellektuelles Eigentum“, sagte Getty 2000, „ist das Öl des 21. Jahrhunderts.“

Als Erbe einer Dynastie von Ölunternehmern wusste Getty sehr genau, wovon er sprach. Wer seine Analogie ernst nimmt, muss sie als Kriegserklärung lesen: Die Menschen, sagt dieser Satz, werden im 21. Jahrhundert die gleichen blutigen Kämpfe um Urheberrechte führen, die sie in der Vergangenheit um Rohstoffe geführt haben. Einige wenige werden dabei sehr viel Geld verdienen – und viele andere werden auf der Strecke bleiben.

Heute, neun Jahre später, ist der Copyright-Krieg in vollem Gange. Zwei Fronten stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite: Musikkonzerne, Filmstudios, Verlage und andere Unternehmen, die ihr Geld wie Mark Getty mit den Ideen anderer Menschen verdienen. Auf der anderen Seite: Millionen von Internetnutzern, die dieses Geschäftsmodell systematisch untergraben. Es ist ein asymmetrischer, unübersichtlicher Krieg. Ausgelöst hat ihn ein technologischer Entwicklungssprung, der den Unterhaltungskonzernen zunächst als Königsweg der Profitmaximierung erscheinen musste: die Digitalisierung. Sie hat es ermöglicht, Kulturerzeugnisse mit minimalem Kostenaufwand in verkaufsfähige Einheiten zu stückeln, sie unbegrenzt zu vervielfältigen und ohne herkömmliche Logistik rund um den Erdball zu verteilen. Die Unterhaltungsindustrie hat die Entwicklung dieser Technologie vorangetrieben – und sich damit ihr eigenes Grab geschaufelt.

Inzwischen nämlich stellt sich die Frage, wer eigentlich eine Industrie braucht, deren Produktionsleistung jeder Laptop beherrscht. Ist das Rohmaterial eines Kulturerzeugnisses erst einmal in Umlauf gebracht, kann es heute jeder Internetnutzer am Computer in ein konsumfähiges Produkt verwandeln. Wenn sich aber der industrielle Arbeitsaufwand der Verteilung und Vervielfältigung auf wenige Mausklicks beschränkt – warum soll dann der Konsument Geld für eine Leistung bezahlen, die er selbst erbringen kann? Mag dem einen oder anderen Internetpiraten unwohl beim Gedanken an die Künstler sein, die hinter dem Kulturprodukt stehen, so ist ihm die Daseinsberechtigung einer kulturveräußernden Industrie kaum zu vermitteln.

Die Unterhaltungskonzerne wissen um diese Logik der Digitalisierung, und sie wissen auch, dass ihre Konsequenzen nicht mehr rückgängig zu machen sind. Schon rein technisch entzieht sich die Internetpiraterie jedem Zugriff, weil sie keinen zentralen Akteur hat: Jeder Nutzer ist ein Komplize, jeder Computer ein Corpus Delicti. Kopierte Daten werden im Netz nicht von kommerziellen Anbietern zur Verfügung gestellt, sondern unentgeltlich von Millionen von Privatpersonen. Suchmaschinen wie das schwedische Portal „Pirate Bay“, das von 25 Millionen Menschen frequentiert wird, weisen Nutzern lediglich den Weg zu den Daten anderer Nutzer. Selbst wenn es der Industrie gelänge, „Pirate Bay“ abschalten zu lassen, würden sich die Nutzer sofort in neuen Netzwerken zusammenschließen. Um die Internetpiraterie zu stoppen, müsste die Industrie jede einzelne Festplatte jedes einzelnen Kulturkonsumenten beschlagnahmen.

Noch unübersichtlicher ist der Copyright-Krieg, weil er eine dritte Front hat: die Künstler. Sie sind hin- und hergerissen, weil sie sich auf beide Seiten angewiesen fühlen, auf die Konzerne, die ihren Lebensunterhalt sichern, und auf die Konsumenten, die ihre Werke rezipieren. Die Künstler wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Sollen sie ihr Publikum beschimpfen? Was, wenn es sich abwendet? Sollen sie es begrüßen, dass ihre Kunst im Internet Verbreitung findet? Was, wenn die Schecks der Industrie ausbleiben?

Die Konzerne wissen um diese ambivalente Gefühlslage – und versuchen, die Künstler für ihre Zwecke einzuspannen. Lautstark beteuern sie, das Urheberrecht schütze die Interessen von Kulturschaffenden und wer es verletze, treibe Künstler in den Ruin. Das mag ansatzweise stimmen – und ist doch scheinheilig.

Mark Getty, der intellektuelles Eigentum zum Rohstoff erklärte, verfügt über ein geschätztes Vermögen von 500 Millionen Dollar. Damit ist er zwar weit davon entfernt, in der Forbes-Liste der 100 reichsten Menschen der Welt genannt zu werden – doch tauchen in diesem Ranking zahlreiche Unternehmer auf, die ihr Vermögen der Vermarktung von Kulturgut verdanken. Platz eins etwa hält Bill Gates, Eigentümer der Bildagentur Corbis. Der Amazon-Gründer Jeff Bezos rangiert mit sieben Milliarden Dollar auf Platz 68, der indische Filmmogul Anil Ambani mit zehn Milliarden auf Platz 34.

Aber einen Künstler verzeichnete die Forbes-Liste nicht. Selbst Ausnahmeerscheinungen wie der Musical-Tycoon Andrew Lloyd Webber (1,2 Milliarden Dollar), die Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling (800 Millionen) oder Ex-Beatle Paul McCartney (700 Millionen) haben mit ihrer Kunst nicht annähernd so viel Geld verdient wie die Schwergewichte der Copyright-Branche.

Die Ideologen der Piratenbewegung liegen also zumindest nicht ganz falsch, wenn sie der Rede vom Künstlerschutz misstrauen und das Urheberrecht als Kampfbegriff der Verwertungsindustrie einstufen. Wer intellektuelles Eigentum zum Rohstoff erklärt, den es auszubeuten gilt – missbraucht der die Interessen von Künstlern nicht viel grundsätzlicher als jeder Internetpirat? Anders gefragt, frei nach Brecht: Was ist das Raubkopieren eines Musikstücks gegen die Gründung eines Musikkonzerns?

Bei genauem Hinsehen unterscheiden sich die Urheberrechtsauffassungen von Mark Getty und seinen Antipoden aus der Piratenbewegung also nicht kategorisch, sondern vor allem politisch: Die Unterhaltungsindustrie will intellektuelles Eigentum monopolisieren, die Piraten wollen es vergesellschaften. In beiden Modellen ist der Künstler nebensächlich. Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen, dass auch die Künstlerfront in Bewegung gerät. Der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson etwa spricht sich in einem Zeitungsessay für eine weitgehende Liberalisierung des Urheberrechts aus: Das „Potenzial des Internets als Ideenforum“ wiege nun einmal schwerer als „Lobby-Interessen“ – und überhaupt könne doch kein Künstler, der seinen Beruf ernst nehme, die Verbreitung der eigenen Gedanken verhindern wollen.

Eine wichtige Schlacht des Copyright-Kriegs wurde im Jahr 2004 geschlagen, als der US-Musiker Danger Mouse sein legendäres „Grey Album“ produzierte. Am Computer verschmolz er das „White Album“ der Beatles mit dem „Black Album“ des Rappers Jay-Z. Veröffentlichen ließ sich das Ergebnis nicht – es hätte einen langen juristischen Atem gebraucht, um die Rechte zur Verwendung der Beatles-Fragmente zu erstreiten.

Danger Mouse verteilte die Platte also lediglich an ein paar Freunde. Die stellten sie ins Netz, wo sie in kürzester Zeit zum wahrscheinlich erfolgreichsten Pop-Album des Jahres 2004 avancierte – ohne dass irgendjemand einen Cent daran verdient hätte. Prompt wurde Danger Mouse von der Plattenfirma EMI attackiert, der die Beatles-Rechte gehören. Da das Album jedoch nicht kommerziell verbreitet worden war, handelte sich EMI lediglich einen Imageschaden ein – während Danger Mouse heute ein äußerst gefragter Musiker und Produzent ist.

Das „Grey Album“ ist symptomatisch für eine Kultur des musikalischen Umarrangierens und Neuverknüpfens, die ohne die Filesharing-Bewegung gar nicht denkbar wäre. Sogenannte Mash-up-Artists zerlegen im Netz vorgefundene Musik am Computer und fügen die Bestandteile zu neuen Kompositionen zusammen. Man kann diese Entwicklung als Indikator für einen Paradigmenwechsel lesen: Seit Musik in digitalisierter Form verbreitet wird, scheint sie zunehmend Konsumenten zu finden, die sich mit dem Konsum nicht begnügen, sondern in den Produktionsprozess eingreifen, indem sie Vorgefundenes fortschreiben.

Diese Entwicklung muss die Unterhaltungsindustrie mehr beunruhigen als das eigentliche Raubkopieren, denn sie macht ihre Arbeit überflüssig. Auf der einen Seite der Lieferant fertiger Kulturprodukte, auf der anderen der Konsument. Dass diese Rollenverteilung erodieren könnte, dürfte das wahre Schreckensszenario der Konzerne sein – und auch der Albtraum vieler etablierter Künstler.

Musik aber hat mit den Musikkonzernen nicht begonnen, und sie wird mit „Pirate Bay“ nicht enden. Auch für andere Kunstformen gilt, dass das Internet sie nicht abschaffen, aber verändern wird. Das Netz ist dabei lediglich das Forum einer Umwälzung, deren Ursachen gesellschaftlicher Natur sind: Ausschlaggebend ist das Gefühl, der Kulturindustrie als Konsument zwar willkommen, als Teilnehmer jedoch unerwünscht zu sein. In westlichen Gesellschaften grassiert es unter jungen Menschen, denen der etablierte Kulturbetrieb mitunter wie eine Seilschaft seniler Snobs vorkommen muss. In Entwicklungsländern erfasst es größere Bevölkerungsschichten, denen die Teilhabe am westlich dominierten Kulturmarkt grundsätzlich verwehrt bleibt. Aus beiden Gruppen rekrutieren die Internetpiraten ihre radikalsten Ideologen. Die Frage ist also nicht, ob das Netz ein rechtsfreier Raum sein darf, wie derzeit diskutiert wird, sondern ob Millionen von Internetnutzern es hinnehmen, dass die Ungerechtigkeiten der analogen Welt im Netz fortbestehen.

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