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Der US-amerikanische Schriftsteller Jon Bassoff.

© Jay Halsey

USA-Krimi "Zerrüttung": Männer ohne Gesicht, Land ohne Hoffnung

In seinem neuesten Krimi huldigt Jon Bassoff den Klassikern des Roman-Noir. Er zeigt eine kaputte USA, in der die Menschen ihrer Vergangenheit nicht entkommen können.

Die Provinzstädte des Mittleren Westens, das wissen wir spätestens seit der Wahl von Donald Trump, sind Sinnbilder des Niedergangs. Stratton in Colorado, wo Joseph Downs mit einem Motorschaden strandet, ist einer von diesen Orten, die ihre Zukunft schon hinter sich haben. „Im Zentrum ein paar Geschäftszeilen, drum herum heruntergekommene Wohnhäuser und armselige Hütten, die wirkten wie von Gott nach einer zweiwöchigen Sauftour in die Landschaft geschmissen.“

Eine Stadt, die man am besten schnell hinter sich lässt. Aber Downs bleibt. Er mietet sich in einem Hotel namens „The Paisano“ ein, einer Absteige wie aus einem Film der Coen-Brüder. Die Flure riechen nach modrigem Holz und Formaldehyd, nackte Glühbirnen flackern von der Decke, abgeplatzte Farbe hängt in Fladen von den Wänden herab. Perfekte Noir-Kulisse. Ein Platz eher für ein Ende als für einen Anfang. Doch genau das will Downs: noch einmal neu beginnen. Er hat im Irakkrieg gekämpft, und die Bilder davon versucht er mit der Lektüre des Alten Testaments zu vertreiben. Versehrt ist er auch äußerlich. Als der Humvee, in dem er saß, am Ufer des Tigris in eine Sprengfalle fuhr, wurde er mit schweren Verbrennungen geborgen. Seitdem hat Downs ein Gesicht, dessen Anblick kaum jemand länger als ein paar Sekunden erträgt. Ein Nicht-Gesicht.

Jon Bassoff huldigt mit seinem Kriminalroman „Zerrüttung“ klassischen Noir-Autoren wie Jim Thompson oder Charles Willeford. Doch mit den Konventionen des Hard-Boiled-Genres spielt er bloß ein bisschen, um sie dann lustvoll zu zertrümmern. Natürlich bleibt sein Held in Stratton hängen, auch als sein Wagen längst wieder fertig ist, natürlich gerät er an eine fatale Frau, eine Punkerin, die ausgerechnet Lilith heißt, wie Adams erste Frau. „Sie war nicht besonders hübsch“, sagt Downs. „Aber das hat mich sowieso nie interessiert.“ Sie verlieben sich ineinander und beschließen, den gewalttätigen Ehemann zu ermorden. Das Geld aus seiner Lebensversicherung soll die Anschubfinanzierung für ein anderes, besseres Leben werden.

Bis hierhin erinnert der Plot stark an James M. Cains Klassiker „Doppelte Abfindung“, den Billy Wilder 1944 mit Fred MacMurray und Barbara Stanwyck verfilmt hat. Allerdings stirbt der Ehemann bereits auf Seite 66, Downs zerschießt sein Gesicht durch ein Kissen hindurch zu blutigem Brei. Es folgt ein harter Schnitt und der Beginn einer scheinbar neuen Geschichte. Der Ich-Erzähler heißt diesmal Benton Faulks, ein junger Mann, der in einem Pick-up auf der Flucht vor den Albträumen seiner Kindheit ist und vor dem Vater, der Ratten gefangen hielt, um sie zu zerschneiden und neu zusammenzusetzen. Eins hat Faulks mit Downs gemeinsam. Auch ihm fehlt sein Gesicht, es wurde von Säure verätzt. Dem äußeren Schein, das lehrt dieser fröhlich hakenschlagende Thriller, ist zu misstrauen. Zerrüttet sind nicht bloß die Menschen, die ihrer Vergangenheit nicht entkommen können, zerrüttet ist das ganze Land.

Jon Bassoff: Zerrüttung. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Koch. Polar Verlag, Hamburg 2016. 252 Seiten, 14,90 €.

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