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Verbrecher JAGD: Platzverweis für den Tod

Warum übersetzt eigentlich niemand dieses Buch? Sam Millars Autobiografie „On The Brinks“ war im englischen Sprachraum ein ziemlicher Aufreger.

Warum übersetzt eigentlich niemand dieses Buch? Sam Millars Autobiografie „On The Brinks“ war im englischen Sprachraum ein ziemlicher Aufreger. Der 1955 in Belfast geborene Autor berichtet darin nicht nur, wie er acht Jahre in einem irregulären Gefängnis der Britischen Armee überstanden hat. Er erzählt auch von seiner Beteiligung an einem der größten Raubüberfalle der amerikanischen Geschichte. Nachdem Millar seine ungastliche Heimat verlassen hatte, überfiel er 1993 mit drei anderen Iren in Rochester, New York, ein Depot mit Geldtransportern des Unternehmens Brink's. Die Beute: 7,4 Millionen Dollar. Kurz darauf wurde er verhaftet. Aufgrund von Formfehlern konnte er jedoch nur für den Besitz des gestohlenen Geldes verurteilt werden. Millar verbrachte knapp zwei Jahre im Gefängnis und wurde dann von der Regierung Clinton nach Nordirland abgeschoben. Dort lebt er seitdem in Freiheit – und schreibt Kriminalromane.

Auf „On The Brinks“ müssen wir noch warten. Dafür ist gerade „Die Besten von Belfast“ auf Deutsch erschienen (aus dem Englischen von Joachim Körber. Atrium, Zürich 2013. 285 S., 16,95 €), der erste Band einer Reihe um den Belfaster Privatdetektiv Karl Kane. Millar arbeitet sich hier erst einmal originell und haarsträubend komisch ins Stereotyp hinein. In der ersten Szene begegnen wir dem Kettenraucher Kane in einem schäbigen Büro, mit einem Klecks Hämorrhoidensalbe am Finger, den er gerade auf sein Hinterteil aufträgt. Kane schafft es gerade noch, die Hosen wieder hochzuziehen, als ein Klient ins Zimmer stürzt, ein Mr. Munday, der mehr über eine Serie von grausamen Verbrechen wissen will. In Belfast werden Männer scheinbar wahllos gefoltert und ermordet, und Kanes Klient hat berechtigte Sorgen, dass es auch ihn treffen könnte. Es geht um Rache für eine Vergewaltigung, die zwanzig Jahre zurückliegt. Der Leser erfährt das gleich am Anfang durch einen Rückgriff. Kane dagegen – das juckende Gesäß ist nämlich sein kleinstes Problem! – muss erst einmal den Kampf mit den Dämonen der eigenen Biografie aufnehmen und sich seinem ganz persönlichen „Do-it-yourself-Albtraum“ stellen.

Solche Rückblenden sind typisch: Im Kriminalroman zeigt das Böse seine wahre Gestalt meist im Blick zurück in die Vergangenheit. In den letzten Jahren ist es allerdings an den Rändern des Genres in Mode gekommen, den Zeitstrahl umzukehren und das Böse in der Zukunft zu verorten. In US-Fernsehserien wie „Missing – Verzweifelt gesucht“ oder „Medium – Nichts bleibt verborgen“ gewinnen Protagonisten beunruhigende Einsichten in die Tatorte von morgen, um dann im Hier und Jetzt hektisch am Schicksal herumzudoktern und schnell noch das Schlimmste zu verhindern. Pfadfinderehre im Kabelfernseh-Format: Du sollst in jeder Episode mindestens eine gute Tat tun!

Nicht ganz so nett ist Miriam in „Blackbirds“, einem halb zynischen, halb depressiven Mystery-Thriller des HorrorAutors Chuck Wendig (aus dem Amerikanischen von Axel Franken. Bastei Lübbe, Köln 2013, 304 S., 12 €). Die junge Frau weiß, wann und wie andere Menschen sterben – und sie nützt diese Gabe schamlos aus. Miriam lässt sich durch Amerika treiben, fleddert Leichen und entwickelt dabei eine fast philosophische Bitterkeit: „In diesem Land liegt die Tragödie normalerweise nicht in der Art, wie man stirbt, sondern vielmehr in der Art, wie man lebt. Gescheiterte Ehen, kaputte Kinder, Selbstmisshandlung, Misshandlung der Ehefrau, Misshandlung des Hundes, Einsamkeit, Depression, Ekel, Gähn, was auch immer.“

So gesehen: Lohnt es sich zu leben? Am Ende versucht auch Miriam, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen und dem Sensenmann in einem speziellen Einzelfall einen Platzverweis zu erteilen. Manchmal soll so etwas ja funktionieren. Dem frechen irischen Räuber Sam Millar zum Beispiel hatten die amerikanischen Cops prophezeit, dass er das amerikanische Gefängnissystem nicht überleben würde. Jetzt ist er ein freier Mann. Und der größte Teil der Beute aus dem Brink's-Überfall ist bis heute nicht gefunden worden. Ich schreib's noch mal hin: Sam Millars „On The Brinks“ könnte eigentlich auch mal übersetzt werden.

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