zum Hauptinhalt
Fassbinders Frauen. Lucy Wirth als Model Karin und Jule Böwe als Designerin Petra von Kant. Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Kultur: Verdammt auf dem Flokati

Patrick Wengenroth weint an der Schaubühne „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“.

Am Ende flucht die Modemacherin dem Mannequin hinterher: „Ich habe sie nicht geliebt. Ich wollte sie nur besitzen“. Gibt’s da einen Unterschied? Aber das ist zu diesem Zeitpunkt auch schon egal. Die große Petra von Kant hat sich bis zur Selbstaufgabe erniedrigt für das schöne Model Karin Thimm. Sie hat die Karriere der jungen Frau befördert, ihr Geld zugesteckt, sich Geschichten über Seitensprünge mit stattlichen Schwarzen angehört. Und ist dabei nur ausgenutzt worden. Wer mehr begehrt, ist der Unterlegene und muss leiden.

Rainer Werner Fassbinder kreist in dem Theaterstück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ aus dem Jahr 1971 um sein Lebensthema: die Frage, warum wir Beziehungen brauchen, die doch nur auf Abhängigkeiten basieren. Vor allem als Verfilmung mit Margit Carstensen als herrschsüchtiger Titelheldin und Hanna Schygulla als Objekt der Begierde ist das Melodram ein Jahr später berühmt-berüchtigt geworden. Gehasst vor allem von Feministinnen. Eine Reihe von Fassbinder-Weggefährten hat in der Folge ausgedeutet, welche Figur für welches Mitglied der inzestuös verbandelten Künstler-Familie des schnauzbärtigen Patriarchen steht: von Kant für Fassbinder selbst, Thimm für Günther Kaufmann, die plappernde Freundin Sidonie von Glasenapp für Kurt Raab, die Mutter für Fassbinders echte Mutter, und so fort.

Solche Schlüssel-Fragen stellen sich eher nicht, wenn Patrick Wengenroth nun an der Schaubühne einmal mehr den Fassbinder-Flokati ausrollt und ihn mit den bitteren Tränen der Petra von Kant tränken lässt. Wengenroth hat sich bereits einen Namen gemacht als werkversierter Kenner der Rainer-Werner-Obsessionen. Seine Schaubühnen-Inszenierung „Angst essen Deutschland auf“ hallt noch nach, kompiliert aus 600 Seiten Interviews mit dem unermüdlichen Workoholic. Der Abend lieferte vor allem den Beweis, dass Fassbinder auch im Dauer-Delirium aus Schnaps und Koks noch geistesklarer war als die Mehrzahl der Zeitgenossen.

Wengenroth, der sich selbst lieber einen Realisateur als einen Regisseur nennt, kann und will auch mutmaßlich nicht mit den libidinösen Exzessen und sonstigen Deformationen dieses berüchtigten Psycho-Dompteurs am Set mithalten. Weswegen er sich selbst auf der Bühne – ein hübscher Twist – die Rolle der stummen Haussklavin Marlene zuweist, die im Film von Irm Herrmann verkörpert wird. Wengenroth lässt sich also im hochgeschlossenen Schwarzen lustvoll von seinen Hauptdarstellerinnen Jule Böwe und Lucy Wirth in ihren fröhlich ausgestellten Strapsen (Kostüme: Andy Besuch) schikanieren. Was etwaige Sexismus-Vorwürfe lässig auskontert.

Ganz ehrlich: Man hätte nicht unbedingt erwartet, dass es ein so beachtlicher Schauspielerinnen-Abend werden würde. Jule Böwe, die man lange nicht mehr so gut gesehen hat, bedient als Petra von Kant mit dem ihr eigenen Kratzbürsten-Charme das gesamte Spektrum zwischen kühler Dominanz, dramatischer Geste und schreiender Verzweiflung. Lucy Wirth gibt als Karin Thimm die vermeintlich Naive, die tränenselig mit ihrer proletarischen Herkunft kokettiert, um im nächsten Moment gelangweilt über ihre mangelnden Mathekenntnisse zu maulen.

Tatsächlich ist sie die Berechnende, die das Machtspiel namens Liebe mit links gewinnt. Selbst aus der maximalen Peinlichkeit einer Mund-zu-Mund-Bewässerung machen Böwe und Wirth eine großartige Nummer. Und die junge Iris Becher hat zwar als Petra-von-Kant-Tochter nur einen kurzen, dafür wirksamen Auftritt: wenn sie mit maskenhaftem Lächeln die Mutti auf ihr vergeudetes Leben stößt.

Wengenroth, der sich im Theater hauptmotivisch an der deutschen Seele zwischen Richard und Franz Josef Wagner abarbeitet, verwitzelt die Vorlage kein bisschen. Er betont nur den grundbitteren Humor und die ausgestellte Künstlichkeit, die bei Fassbinder ohnehin schon walten. Die Bühne von Mascha Mazur besteht aus hintereinander gestaffelten, rüschigen Portalen, die an eine voyeuristische Kameralinse oder an einen Spiegel im Spiegel denken lassen. Beides passt zu den manischen Selbstumdrehungen der Figuren. Über eine Treppenlandschaft ergießen sich die Kuschelteppiche.

Die zeitliche Distanz zu Fassbinders Deutschland mit seinen spezifischen Chiffren versucht Wengenroth gar nicht erst zu überbrücken. Nur der Soundtrack, der im Film von den Walker Brothers bis Verdi reicht, wird unter tatkräftigem Einsatz von Musiker Matze Kloppe etwas näher in die Gegenwart geholt (mit „Lovecats“ von The Cure oder „Yipi“ von Bosse). Über die Lieder kommt auch die stille Dulderin Marlene zu Wort. Die Einzige in dieser Folterkammer mit Flokati, für die es ein Happy End geben könnte.

Wieder am 9. und 11.9., 20.30 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false