zum Hauptinhalt

Kultur: Verena Auffermann schickt ihre Protagonisten auf die Suche nach dem italienischen Maler Quattrocento

Sie sind dem Quattrocento auf den Fersen. "Eine Reise, erklärte Klara im Tonfall einer pensionierten Waldorfschullehrerin, fängt in der Nähe an.

Sie sind dem Quattrocento auf den Fersen. "Eine Reise, erklärte Klara im Tonfall einer pensionierten Waldorfschullehrerin, fängt in der Nähe an." Hannah dagegen sucht das Glück in der Ferne. Sie reist nach New York, um dort den Holländer Vermeer zu entdecken, sie sucht in Budapest nach Bildern des Italieners Lorenzo Lotto und verbringt in Venedig neblige Tage vor den Gemälden Tiepolos, der er am Vorabend der Aufklärung malte. "Wer sucht, findet in Bildern sich selbst", das ist eine Lehre, die Klara aus ihren Reisen zieht.

Auch die elegante und scharfsinnige Essayistin Verena Auffermann ist eine Suchende. Ihre Essaysammlung "Das geöffnete Kleid" vollzieht in elf Kapiteln eine Reise um die Welt, auf den Spuren der italienischen Maler des Quattrocento. Mit der Neugier und Leidenschaft einer Liebhaberin, dem Wissen der Historikerin und aller Zeit der Welt im Gepäck inszeniert Verena Auffermann ein nur scheinbar leichthändiges Spiel zwischen Realität und Phantasie, zwischen ernsthafter kunsthistorischer, wissenschaftlicher Auseinandersetzung und unbefangener Fabulierkunst.

Jede Mutmaßung, und sei sie noch sie kühn, ist ihr recht. Nicht die Antwort sucht ihr erzählendes Experiment, sondern die Frage, das Rätsel, den überraschenden Fund. Der Schlüssel, den sie hier verwendet hat den Namen: Rollentausch. Um sich herum schafft die Autorin ein Universum der kunstbegeisterten Handlungsreisenden, sie mischt Romanfiguren, eigene Freundinnen und Freunde, Phantasiegeschöpfe munter zusammen. Mal spricht sie mit fremden Stimmen wie jener der altklugen Kunststudentin Hannah, mal erfindet sie Figuren des Quattrocento wie jene Beatrice, jungfräuliches Modell für Paolo Ucellos Londoner St.-Georgs-Bild. Dann wieder reist sie selbst durch das Land, auf Spuren Piero della Francescas nach Sansepolcro oder nach Rom zu ihrem Freund W., der Caravaggios Magdalena liebt. Der Maler und Regisseur Derek Jarman und der Dieb Caravaggio aus Ondaatjes "Englischem Patienten", der todkranke Harold Brodkey und Louis Begleys "Mistler" bevölkern ihre Welt mit genau derselben Selbstverständlichkeit wie der Wärter in der Nationalgalerie in Washington, der Küster in San Zaccaria und der sinnenfreudige Koch einer Trattoria in Venedig. Und aus der geschickten Verwischung der Grenzen zwischen Erinnerung oder Einbildung gewinnen Auffermanns Essays den ihr eigenen, schwebenden Ton.

Damit die Phantasiewelt jedoch nicht auf tönernen Füßen steht, werden kunsthistorischen Thesen unter die Reiseerinnerungen gemischt. Da wird im Vorübergehen das Rätsel um Carpaccios "Kurtisanen" gelöst, Bellinis "Allegorie" gedeutet oder Bruce Naumans Vorstellung der "Mystik des Körpers" angerissen. Populäre Kunstgeschichtsklassiker von Berenson bis Baxandall, von Vasari bis Longhi werden gestreift, gerade lange genug, um ein theoretisches Fundament anzudeuten, ohne dass dabei die Fahrt an Schwung und das Buch an Lesbarkeit verliert.

Das hat zuweilen einen leichten Nachgeschmack von "Schaut mal, was ich alles weiß", von bildungsbürgerlichem Universalanspruch. Die Unbefangenheit aber, mit der Auffermann mischt, was ihr gerade in die Feder kommt, ihre unverhohlene Subjektivität und die Liebe zum Gegenstand, die aus jeder Zeile spricht, macht sie zu einer charmanten Flaneurin in Sachen Kunst. Es lohnt, sie ein Stück des Weges zu begleiten: Die nächste Toscana-Reise ist so gut wie unvermeidbar.Verena Auffermann, Das geöffnete Kleid. Von Giorgione zu Tiepolo. Berlin Verlag, Berlin 1999. 166 Seiten. 34 Mark

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false