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Kultur: Vergiss dich nicht

In Wedding und Neukölln entstehen neue Projekträume. Nicht jedem blüht eine Zukunft als Galerie

Mit einem Hang zum Größenwahn könnte man behaupten: Projekträume gehören zu Berlin wie das MoMA zu New York. Vielleicht aber ist dieser Vergleich auch gar nicht so abwegig. Denn die losen Netzwerke, Künstlerinitiativen und Experimental-Plattformen sind tatsächlich in ähnlichem Maß Teil der Kunststadt Berlin – zumindest in Form jenes unvermeidlichen Nachwendemythos’, der die Geschichte vom Aufstieg der Galerien aus dem feuchten Hinterhofkeller an die Front des internationalen Kunstbetriebs erzählt. Darauf baut die Stadt nach wie vor, selbst wenn sich die daraus hervorgegangenen Galerien längst professionalisiert haben.

Um ein vitales Projektraumprinzip dagegen ist es in den vergangenen Boomjahren still geworden. Und doch: Seit einiger Zeit tut sich wieder etwas, natürlich nicht mehr in Mitte, sondern in Kreuzberg und Neukölln. Während Schöneberg zum neuen Galerienviertel avanciert, erleben Offspaces und Künstlerinitiativen einen ungeahnten Boom. An vorderster Front steht dabei das inzwischen bekannte Forgotten-Bar-Project, das der Künstler Tjorg Douglas Beer nun in zweiter Auflage in der Boppstraße im Graefekiez betreibt (galerieimregierungsviertel.org). Das selbst organisierte Ausstellungsprojekt ist in Wahrheit eine Bar mit täglich wechselnden Ausstellungen. Legionen von Künstlern, bekannte wie unbekannte, haben hier ausgestellt und die Forgotten Bar in kurzer Zeit zum Künstlertreffpunkt Nummer eins gemacht.

Aber auch rundherum eröffnet im Eiltempo Raum um Raum: im hippen „Kreuzkölln“ etwa das von Heike Tosun betriebene Soy Capitán, wo man die erste Ausstellung mit der amerikanischen Künstlerin Maeghan Reid bestreitet (Friedelstr. 29; bis 6. 11., Mi - Sa, 14 - 19 Uhr). Oder das sogenannte Center for Endless Progress, das Eddie Baker und Jamie Schwartz seit knapp einem Jahr in einer Ladenwohnung in der Berthelsdorfer Straße Nr. 10 betreiben. Während vorne ab dem 19. November Arbeiten von Stevie Hanley zu sehen sind, wohnen die beiden im hinteren Teil. Eine engere Verknüpfung von Kunst und Leben kann man sich schwerlich vorstellen.

„Kreuzberg und Neukölln sind Stadtteile, in denen viele Künstler leben“, meint auch Gigiotto Del Vecchio, der 2008 gemeinsam mit Stefania Palumbo aus Neapel nach Berlin gekommen ist. „In dieser Gegend eine klassische Galerie aufzubauen, hätte nicht funktioniert. Die einzige Möglichkeit war für uns ein Raum, der Bezüge zu den Produktions- und Lebensbedingungen vor Ort herstellt.“ Und doch sind sie mit ihrem Ausstellungsprojekt Supportico Lopez, das sie aus Neapel mit an die Spree brachten, den klassischen Weg der Professionalisierung gegangen: Der Projektraum (Graefestr. 9, Di - Sa 14 - 18 Uhr; bis 13.11. „Face“ von Michael Dean) ist jetzt eine Galerie und war gerade des zweite Mal auf der Londoner Frieze Art Fair vertreten. In Berlin aber operiert man nach wie vor aus dem Hinterhauskeller eines Wohnhauses. Doch auch wenn Beispiele wie Supportico Lopez zeigen, dass der Weg Richtung Kunstmarkt nach wie vor attraktiv ist, scheint das nicht die einzige Option. „Projekträume und Galerien spielen verschiedene Rollen. Als Projektraum kann man experimentieren. Und wenn man Berlin tatsächlich als jenes große ‚Studio’ sieht, als das die Stadt immer wieder bezeichnet wird, braucht man Räume, die nicht so hermetisch sind wie der Kunstmarkt“, merkt Enrico Centonze an. Als Direktor des Grimmuseums arbeitet er mit anderen in den riesigen Räumen des ehemaligen Luise-Grimm- Museums in der Kreuzberger Fichtestraße an einer eigenen Idee von Selbstbestimmung. Hier will man sogar eine Foundraising-Struktur etablieren, die es in Zukunft erlauben soll, die Produktion von Kunstwerken zu unterstützen. Und vielleicht lässt sich so tatsächlich ein innovatives Modell etablieren, das am Ende genauso wenig auf den klassischen Projektraum oder den „Off-Space“ zurückzuführen ist wie auf den Kunstmarkt.

Hier unterscheidet sich das neue Interesse an der Selbstorganisation dann auch von einem Modell, das man getrost als missing link zwischen den Projekträumen der neunziger Jahre und der Gegenwart bezeichnen kann: der Produzentengalerie. „Sie waren vor ein paar Jahren das große Ding“, sagt die Künstlerin Despina Stokou, die sich ebenfalls im Grimmuseum engagiert. Stokou hat für ihre jüngste Ausstellungsreihe „D12“ sechs Akteure des Kunstbetriebs eingeladen, sich eine zweite Identität zuzulegen und eine „Alter Ego“-Show auf die Beine zu stellen. Zudem gibt sie seit Sommer alle drei Monate mit pigs die Offspace-Variante des etablierten Galerienguides Index heraus (www.bpigs.com). „Bei den früheren Modellen ging es allerdings von Anfang an darum, sich in den Markt zu integrieren. Das ist jetzt nicht mehr so. Man eröffnet einen Projektraum aus Interesse“, fährt die Künstlerin fort.

Denn die Produzentengalerie, das war Kunstmarkt im Betatest-Format. Man realisierte über eine begrenzte Dauer Ausstellungen, man generierte Aufmerksamkeit, positionierte sich auf dem Markt als „young and emerging“, knüpfte erste Sammlerkontakte und empfahl sich am Ende für größere, etablierte Galerien – so wie „Liga“ in Berlin, wo die Maler Tim Eitel und Matthias Weischer vertreten waren, bevor sie in die renommierte Galerie Eigen und Art wechselten. Nach dem Ende des Kunstbooms zieht das Versprechen vom kometenhaften Aufstieg nicht mehr. Im Gegenzug befreit sich die Kunst aber auch ein Stück weit vom puren Verkaufsdruck. Die Beziehungen zwischen Produktion, Selbstorganisation und Markt sind komplexer geworden. Und die Protagonisten aus den Offspaces und Künstlerinitiativen wissen darum.

Mitnichten sind Kreuzberg und Neukölln für die Gegenwart, was Berlins Mitte in den neunziger Jahren war. Weder hat hier die heiße und hoch gehandelte Kunst der nächsten zehn Jahre ihre Testphase, noch kann man die Projektraumszene Kreuzbergs und Neuköllns auf die Stadtteilvariante eines Salon des Refusées reduzieren. Eine euphorische Feier von Unabhängigkeit und Emanzipation geht schließlich ebenso an der Realität vorbei. Die Wahrheit liegt, wie so oft, im Dazwischen. Gefragt, wie er das Grimmuseum denn bezeichnen würde, antwortet Centonze, nicht ohne Schmunzeln um die Mundwinkel: „Post-Commercial als Label könnte funktionieren.“

D12 & Francesca Gavin presents Syncopation, Grimmuseum, Fichtestr. 2; bis 31. 10., tgl. 14 - 19 Uhr.

Dominikus Müller

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