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Kultur: Verraten und verkaufen

Italienisches Selbstbewusstsein: Das 1. Filmfest von Rom tritt gegen Cannes, Venedig und Berlin an – und gegen Hollywood

Ehrgeiz. Einen Bestseller schreiben, teure Autos fahren, als Fotografin berühmt werden oder einen Zaubertrick erfinden, von dem die ganze Welt spricht. Ehrgeizige Pläne, für die verraten, verkauft und gemordet wird, in auffällig vielen Filmen des 1. Internationalen Filmfestivals von Rom. Richard Gere spielt in Lasse Hallströms brillantem Biopic „The Hoax“ den Schriftsteller Clifford Irving, der in den frühen Siebzigern eine gefälschte Autobiographie des Hollywood-Magnaten Howard Hughes auf den Markt bringt. Christopher Nolan lässt in dem nicht minder spannenden Historienfilm „The Prestige“ zwei Zauberkünstler in tödlichem Wettstreit gegeneinander antreten. In Catherine Corsinis „Les Ambitieux“ schläft ein junger Autor mit seiner Verlegerin, um seinen ersten Roman publiziert zu bekommen. Und in Martin Scorseses als früher Festivalhöhepunkt gefeiertem Gangsterdrama „The Departed“ treibt Leonardo DiCaprio und Matt Damon der Ehrgeiz um, ihrer Herkunft aus den Slums von Süd- Boston zu entkommen.

Zufall oder nicht: Ehrgeiz ist das Generalthema für ein Festival, das so ambitiös gestartet ist wie kaum ein anderes. Das 1. Filmfest von Rom, das gestern nach zehn Tagen zu Ende ging, begann als indirekte Kampfansage an die großen Drei, Cannes, Venedig und Berlin: mit einem Etat von 12 Millionen Euro, mit einem Staraufgebot von Leonardo DiCaprio über Nicole Kidman bis zu Richard Gere, Sean Connery, Harrison Ford und Robert de Niro und mit Spannung erwarteten Filmen von Scorsese, Nolan, Tornatore und Steven Shainbergs (enttäuschender) Diane-Arbus-Biografie „Fur“.

Kein Wunder, dass die Nervosität vorab groß war, vor allem bei den direkten Konkurrenten in Venedig, San Sebastian, Toronto oder Turin. Von einem „Festival der Banken“ war im Vorfeld polemisch die Rede, hämisch wurde aufgelistet, was die diversen Stars für ihr Erscheinen in Rom bekommen hätten: Nicole Kidman eine halbe Million Euro, Martin Scorsese einen Zuschuss von 750 000 Euro für sein Filmrestaurierungsprogramm, Robert de Niro eine Kooperation mit seinem Tribeca-Filmfestival. Harrison Ford eine Plattform für den seiner verstorbenen Agentin Patricia McQueeney gewidmeten Preis für Schauspielagenten und Sean Connery einen Preis für sein Lebenswerk.

Doch die Rechnung schien aufzugehen: Groß der Auftrieb am roten Teppich in Renzo Pianos „Città della Musica“, die für zehn Tage zum Festivalzentrum umfunktioniert wurde. Befriedigend auch die Ergebnisse des ersten, mit 250 Fachbesuchern noch bescheidenen Filmmarkts, für den die Via del Veneto zur Filmmeile umgestaltet wurde: Rom habe sich auf Anhieb unter den zehn wichtigsten Festivals etabliert, urteilt Jonathan Wolf, Leiter des „American Film Market“. Ausgerechnet der diesjährige Gewinner des Goldenen Löwen in Venedig, Jia Zhang-Kes „Still Life“, wurde von Rom aus in alle Welt verkauft. Als Ersatz für die Filmmesse Mifed in Mailand könne Rom die herbstliche Zentralstelle für den Europäischen Markt werden, hoffen die Veranstalter. Deals, die vor einigen Wochen in Toronto eingefädelt wurden, habe man hier abschließen können, resümiert das Fachblatt „Screen Daily“. Die Filmregion Berlin-Brandenburg unterzeichnet gleich einen Kooperationsvertrag für 2007.

Doch Markterfolge sind das eine, Filmprogramme das andere. Hier lässt sich noch einiges verbessern – nicht nur im Wettbewerb, von dessen 16 Filmen schon die Hälfte in Toronto gezeigt worden war. Selten die Highlights wie Susanne Biers Familien-Melodram „Nach der Hochzeit“, Shane Meadows Pubertätsdrama „This is England“ über einen Skinhead zur Zeit des Falkland-Kriegs oder Francesca Comencinis bittere Abrechnung mit der italienischen Finanzmafia „A Casa Nostra“.

Nach dem fulminant gestarteten ersten Wochenende verlor das Festival spürbar an Schwung – nicht nur, weil das U-Bahn-Unglück am Dienstag zur kurzfristigen Absage aller Gala-Events führte. Ob man überhaupt einen Wettbewerb brauche, fragen sich italienische Kritiker angesichts einer enttäuschenden Filmausbeute – zumal mit Weltpremieren wie in Venedig, Cannes und Berlin in Zukunft auch mit viel Geld kaum zu rechnen sein wird. Ein von Bürgermeister Walter Veltoni erdachtes Festival für das filmbegeisterte Publikum von Rom braucht keinen zweitklassigen Wettbewerb. Und welchen eigenen Charakter das Festival entwickeln will, ist nach dem ersten Durchlauf und der Ehrung des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov für „Playing the Victim“ nicht zu erkennen.

Publikum und Presse beschäftigen ohnehin andere Fragen. Zum Beispiel die Konkurrenz zu Hollywood. Zu viele amerikanische Stars, zu wenig Aufmerksamkeit für lokale Größen – ausgelöst von einer bitteren Polemik von Anna Maria Scicolone, der Schwester von Sophia Loren, die beklagte, dass der Star zu spät eingeladen worden und deshalb nicht erschienen sei. Lorens Nichte, die Politikerin Alessandra Mussolini legte nach: Wo seien die großen italienischen Diven von Claudia Cardinale bis Gina Lollobrigida? Gerade das Filmfest von Rom, gestartet mit der Idee, die italienische Hauptstadt des Films benötige auch ein Filmfestival, habe seine Wurzeln vergessen und sich Amerika an den Hals geworfen.

Dabei sind fast die Hälfte aller Festival-Filme italienischen Ursprungs. Mitunter schien man fast obsessiv beschäftigt mit den Vätern des italienischen Kinos: Fotoausstellungen zu Mario Soldati und den goldenen sechziger Jahren schmücken das Auditorium, Ausstellungen ehren Luchino Visconti und Bernardo Bertolucci, Isabella Rossellini präsentiert, wie schon auf der Berlinale, ihre Hommage zum 100. Geburtstag ihres Vaters Roberto Rossellini. Chiara und Barbara Mastroianni zeigen einen Erinnerungsfilm anlässlich des 10. Todestags ihres Vaters. Alle ehren Gillo Pontecorvo, der einen Tag vor Festivalbeginn verstarb. Mario Bellochi, der Fragmente seines Familienfilms „Sorelle“ vorstellt, diskutiert mit Bernardo Bertolucci und erzählt Anekdoten zu Antonioni und Pasolini.

Doch wer das klassische italienische Kino finden will, muss die Città della Musica verlassen. Muss in die Casa del Cinema im Park der Villa Borghese gehen, wo das Publikum zu einer Marcello-Mastroianni-Retrospektive die Säle stürmt. Oder im Hadrianstempel Bilder von Michelangelo Antonioni sehen, einfache, an Scherenschnitte von Matisse erinnernde Formen, die von dem 94-jährigen, gelähmten Regisseur hingebungsvoll ausgemalt werden, wie man in einem anrührenden Videofilm sehen kann. Oder man kann einfach des Nachts durch Rom spazieren, zur Fontana di Trevi, zur Bocca della Verita, zur Piazza Navona oder zum Colosseum. Die entsprechenden Filmszenen laufen im Kopf ab. Rom ist die Stadt des Films. Es hätte kein Festival gebraucht, das zu beweisen.

Christina Tilmann

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