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Erst Berlin nehmen, dann Wien. Kuratorin Shermin Langhoff.

© picture alliance / dpa

Theaterleiterin weggekauft: Verrücktes Wiener Blut

Eine kulturpolitische Pleite: Shermin Langhoff vom Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße verlässt Berlin. Die Hoffnungsträgerin wird ab 2012 Chefkuratorin der Wiener Festwochen.

In den österreichischen Zeitungen wurde ihr Name bereits seit einigen Tagen gerüchteweise gehandelt, jetzt ist es offiziell: Shermin Langhoff, die künstlerische Leiterin des Ballhaus Naunynstraße, des postmigrantischen Theaters in Kreuzberg, wird stellvertretende Intendantin und Chefkuratorin der Wiener Festwochen. Ende 2012 tritt sie neben dem neuen Intendanten Markus Hinterhäuser, der von den Salzburger Festspielen kommt, die Stelle in Wien an. Als Dramaturgen, in welcher Position genau wird sich noch zeigen, nimmt Langhoff den ehemaligen Schaubühnen-Dramaturgen Jens Hillje mit. Der war am Ballhaus zuletzt für die Erfolgsproduktion „Verrücktes Blut“ mitverantwortlich, die jetzt beim Theatertreffen läuft. Das erste von diesem deutsch-österreichischen Team verantwortete Programm soll 2014 an den Start gehen.

Die Wiener Festwochen finden jährlich im Mai und Juni statt und bieten an Spielorten in der ganzen Stadt ein umfangreiches Programm mit internationalem Appeal aus Opern, Konzerten, Schauspiel, Performances, Installationen und Lesungen. „Es gibt ganz klar den Auftrag, die postmigrantische Vision in eine Internationale zu überführen“, sagt Langhoff zu den Wiener Erwartungen an sie. Während Hinterhäuser sich in erster Linie um das renommeeträchtige, repräsentative Musikprogramm kümmert, ist sie als Frau für die Avantgarde gefragt, für die Off-Belebung, „die inter- und transkulturellen Szenen“. Eine Perspektive, die weit über ein deutsch-türkisches Migrationstheater hinausreiche, wie sie betont.

Für Langhoff, die das Ballhaus Naunynstraße erst seit 2008 leitet, bedeutet das eine steile Karriere, die ihr nicht unbedingt zugetraut worden war. Nachdem sie sich als Kuratorin an Matthias Lilienthals Hebbel am Ufer (HAU) einen Namen gemacht hatte, wurde ihr die kleine Kreuzberger Bühne als eine Art Modellversuch überlassen. In kurzer Zeit jedoch hat sie das schmal budgetierte Ballhaus mit einer Fülle von Eigenproduktionen und großem Akquise-Talent zum Label mit Strahlkraft weit über Berlin hinaus gemacht. Eine Erfolgsgeschichte, die in der Einladung zum Theatertreffen gipfelt.

Für die Berliner Kulturpolitik ist der Wechsel hingegen ein Schlag ins Kontor. Dass Talente weggekauft werden, ist ein normaler Vorgang, so wie im Fußball. Aber die Abwerbung lässt Berlin doch zweitklassig aussehen. Wiederholt war zuletzt spekuliert worden, Shermin Langhoff habe sich mit Jens Hillje um die Nachfolge von Matthias Lilienthal am HAU beworben, der das Haus 2012 verlässt.

Richtig ist, dass Langhoff der Posten von der Kulturpolitik angetragen wurde, sie aber dankend ablehnte. Was, wie sie sagt, „klar an den Finanzen lag“. Mit dem HAU-Budget von jährlich nur 4,5 Millionen Euro für drei Spielstätten wären ihre Vorstellungen – mehr Eigenproduktionen, eine Weiterführung des am Ballhaus entstandenen, postmigrantischen Ensembles in einem der drei Häuser – nicht durchsetzbar gewesen. Wie man hört, ist Langhoff nicht die einzige Kandidatin, die vergebens angefragt wurde fürs Hebbel am Ufer. Das gibt zu denken. Ihren Fünfjahres-Vertrag am Ballhaus um die gleiche Zeit zu verlängern, sei auch keine Option gewesen, so Langhoff. Was wiederum nichts mit Geld zu tun hat: „Schon bevor die Angebote kamen, habe ich betont, dass ich nicht ewig am Ballhaus bleiben will“. Fünf Jahre Aufbauzeit habe sie sich am Ballhaus erbeten, um das Projekt zum Leben zu erwecken, das nun auch ohne sie weiterlaufen könne. Aber zehn Jahre am gleichen Ort bleiben? Eventuell bequem werden? Davor wollte sie sich bewahren.

„Da ich auch nächste Saison noch das Ballhaus leite, haben wir genug Zeit, eine gute Lösung für meine Nachfolge zu finden", versichert sie. Gespräche gab es diesbezüglich aber noch nicht. Geht es nach ihr, wird das postmigrantische Profil erhalten bleiben, wenngleich sie sich eine Verschiebung der Schwerpunkte vorstellen kann. Über Namen lässt sich derweil nur spekulieren. Wagner Carvalho, Gründer des brasilianischen Tanz-Festivals „Move Berlim“, wäre zu nennen; der fähige Dramaturg und Kurator Tuncay Kulaoglu. Oder der talentierte Regisseur Neco Celik, ein Kind der Naunynstraße. Die Wiener-Festwochen-Konstellation mit Hinterhäuser und Langhoff in der Leitung birgt jedenfalls ihren Reiz. Und ist nur auf den ersten Blick ein Culture-Clash zwischen noblem Salzburg und ruppigem Kreuzberg. Hinterhäuser, selbst Pianist, hat sich vor allem als Leiter des Konzertprogramms der Salzburger Festspiele seit 2006 einen Namen als Förderer der zeitgenössischen Musik gemacht, er ist eher Avantgardist.

Hinterhäuser und Langhoff werden dabei nicht nur die Programmsparten, sondern auch die Spielorte klar untereinander aufteilen. Langhoff wird etwa alternative Orte wie das brut und das Wiener Schauspielhaus bespielen, Hinterhäuser unter anderem die großen Hallen im Museumsquartier. Während Hinterhäusers Vertrag auf drei Programmjahre befristet ist, besitzt Langhoff eine Option auf Verlängerung. „Die wurde mir angetragen, dagegen habe ich nicht protestiert", freut sie sich. Zu konkreten Vorhaben willLanghoff sich derzeit noch nicht äußern. Aber sie betont: „Die Wiener haben mich mit ihrer kulturpolitischen Vision überzeugt“. Die könnte auch Berlin brauchen.

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