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Kultur: Verschwende dich

Historienporno und Selbsterfahrungstrip: Das Performance-Festival „Testing Stage“ im HAU

Der junge Mann in Kleid und Perücke wirkt zufrieden mit seinem Fantasiekauf. Im 19. Jahrhundert gelandet zu sein mit zwei Frauen – selbst als Frau –, das habe ihm gefallen, sagt er dem Moderator. Zumal es das Erlebnis zum Schnäppchenpreis gab. Für kaum zehn Euro in einem viktorianischen Porno mitzuwirken, da kann man doch nicht klagen. Und noch dazu haben die Damen um ihn herum sich tatsächlich ziemlich genregerecht verhalten, was auf dem übertragenden ZDF-Kulturkanal zwar nicht zu sehen war, aber für die Zuschauer im Hebbel am Ufer schon. Ja, es ist ein Spiel. Aber es ist kein Fake!

„A Teleshopping Broadcast in Full Colour“ hat der britische Künstler Phil Collins seine Performance genannt, die das Fernsehformat des Einkaufskanals ins Bühnen-Setting übersetzt. Statt limitierter Ramsch-Preziosen werden auf seinem fiktiven Tutbu TV der Deutschen liebste Wünsche verkauft. Was nach repräsentativer Erhebung neben dem Historienporno die folgenden sind: einmal nach Stasi-Art verhört zu werden und auf dem Sterbebett die versammelte Verwandtschaft zu beschimpfen. Wir sind schon ein lustiges Volk. Echte Zuschauer konnten sich bei Collins um diese Erfahrungen per Hotline bewerben. Das Prinzip des Home-Shoppings – die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer exklusiven Community zu befriedigen – kollidiert da lustvoll mit dem schrägen Realitätskitzel des Angebots.

„Testing Stage“ heißt das Festival, mit dem das HAU der internationalen Performance-Szene die Bühne bereitet. Es ist eine Fortführung der „Art into Theatre“- Reihe von 2008, die überwiegend installative Arbeiten von bildenden Künstlern ins Theater holte. Einen 35-Millimeter-Film von Thomas Demand etwa, der animierten Regen zeigt und in aufwendiger Projektion im Saal des HAU 1 lief, „die große Geste der Verschwendung“, wie der künstlerische Leiter Matthias Lilienthal sagt. „Testing Stage“ haben er und seine Ko-Kuratorin Katrin Dod im Austausch mit der „Performa“ in New York konzipiert, dieser Biennale für die urbanen Experimente, für Formate, die nicht mehr benötigen als Körper, Raum und Entgrenzungsbereitschaft. In der Folge der Finanzkrise hätten sich viele bildende Künstler zurück zur Performance orientiert, glaubt Lilienthal, da müssten sie keine Werke auf Halde produzieren. Der Aktienmarkt werde reguliert, der für bildende Kunst nicht, das sei der Unterschied, spöttelt er. Innovationen aus dem Geist der künstlichen Verknappung also, auf zu Aktionen jenseits der Verwertbarkeit.

Klar, auch der Begriff Performance ist längst verwässert und hat sich von den Wurzeln des radikalen Aufbruchs der sechziger, siebziger Jahre entfernt. Eine Marina Abramovik, die selbst ernannte Großmutter der Szene, ist wie viele Generationsgefährten längst in die Phase der eigenen Musealisierung eingetreten (Tagesspiegel vom 13.7.). Bloß Richtwerte für die Trennbarkeit der Kunstformen haben die Vorreiter hinterlassen. „Wenn Abramovik in einer Performance ihrem Freund so lange eine klebt, bis die Wange rot glüht, geht es um die Ermüdung und das Brechen von Körpern“, sagt Lilienthal. „Und im Theater geht es um das Vorspielen von politischen, psychischen oder anderen Zuständen.“ Die Enkel der Avantgardisten die in großer Zahl in Berlin leben, haben jedenfalls wenig Mühe, sich im Bühnenzusammenhang zurechtzufinden. Eine Arbeit wie „Anke is gone“ der Israelin Keren Cytter, die eine Schauspielertruppe in die Verwirrung zwischen Rollenextrem und Privatneurose stürzt, ist geradezu theaterbrav geraten. Manches Spannende allerdings steht noch aus. Das episch angelegte, erstmals als Trilogie zu sehende Biografienspiel „The boy who cried wolf“ von Simon Fujiwara etwa. Oder die lange Performance-Nacht, die unter anderem den Künstlern aus dem Umfeld des Kreuzberger Experimentierraums Basso, der nach sieben Jahren schließt, das HAU 1 für eine „Funeral Charade of Poses“ überlässt.

Es ist natürlich verkehrt, im Performance-Kontext die Impulse nur von den Künstlern zu erwarten. Man ist schon selbst gefragt. Als Teilnehmer der grandiosen Aktion von Dominique Gonzalez-Foerster und Ari Benjamin Meyers zum Beispiel, die drei wilde Stationenreisen durch die Nacht mit kryptischen Titeln eingerichtet haben: „M.31“ ist inspiriert von Fritz Langs Verfolgungsjagd „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, „K.62“ folgt Orson Welles Kafka-Adaption „Der Prozess“ und „K.85“ dem Martin-Scorsese- Film „After Hours“. Es sind parallel laufende Parcours, die von Imbissbuden über Punk-Kaschemmen führen und Verlorenheitsgefühle eigener Art produzieren. Und dann kommt dieser wirklich kafkaeske Moment. Da wartet man vor dem roten Teppich eines vermeintlichen Clubs, wird schließlich vom Türsteher eingelassen und von einer Livrierten durch gewundene Gänge geführt. Eine Tür geht auf. Und man steht auf der Bühne des HAU 1, im gleißenden Licht. Ein Orchester spielt. Und ein vollbesetzter Saal applaudiert. Eine Erfahrung, die man auf dem Shopping-Kanal verkaufen sollte.

HAU 1+2, bis 1.10.; Performance-Nacht:

Sa 24.9., ab 19.30 Uhr

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